RotFuchs 199 – August 2014

Aus der Erlebniswelt eines Taxifahrers

Kay Strathus

Unser aus dem Westen in den Osten übergesiedelter Autor ist Taxifahrer in Weimar, der Stadt Goethes und Schillers. Schon seit längerem beim „RotFuchs“, gewährt er den Lesern unserer Zeitschrift Einblick in seine alltäglichen Begegnungen mit Fahrgästen.

Da am Goetheplatz keine Taxe steht, muß ich vom Theaterplatz aus die „Prekariats“-kneipe „Roma“ in der Plattenbausiedlung Weimar-West anfahren. Zwei Gäste dieses Lokals steigen zu und wollen „irgendwo hingebracht werden, wo noch was los ist“. Ich informiere sie, daß im C-Keller am Markt etwas läuft, und wir fahren los. Unterwegs lästern die beiden nach Kräften über die „Assis“ aus der „Assi-Kneipe“, aus der sie gerade kommen.

Dann wenden sie sich Weimars begrenztem Ausgehangebot zu, speziell dem bald endgültig schließenden Lokal „Schütze“: „Die müssen sich aber auch mal ihr Publikum angucken – alles nur Ausländer. Wenn ich das schon sehe …“ So geht es endlos weiter.

In letzter Zeit habe ich zu oft die mal latente, mal offene Ausländerfeindlichkeit einheimischer Torfköpfe mitgekriegt – heute abend reicht es erst mal. Irgendwie ist jener Tropfen gefallen, welcher das Faß zum Überlaufen bringt.

Ich fahre rechts ran und sage zu dem nationalbewußten Schwadronierer: „Hast du gerade gesagt, daß da zu viele Ausländer sind und du die nicht abkannst?“ „Ja, wieso? Bist du etwa Ausländer oder …?“, erwidert er in einem leicht verwunderten Tonfall, als ob ein Deutscher seine Meinung nur teilen könne. Ich habe keine Lust, ihm Nationalismus und Ausgrenzung zu erklären. So antworte ich kurz: „Ja, Portugiese. Und solchen Scheiß will ich hier nicht noch einmal hören.“ Er bleibt cool, fragt: „Was kriegst du von uns?“ Als er schon draußen ist, giftet er mich noch an: „Leute wie dich würde ich noch nicht mal als Taxifahrer in Deutschland arbeiten und uns die Arbeitsplätze wegnehmen lassen.“ Ich verabschiede ihn mit: „Ja, klar, tschüß Rassist.“

Eine Viertelstunde später stehe ich als erster am Goetheplatz. Und wer kommt da auf mein Taxi zu, öffnet die Beifahrertür? Mein rassistischer Fahrgast von eben. Er stößt ein genervt-überraschtes „Oh je, der schon wieder“ aus, und ich mache ihm die Optionen klar: „Du kannst jetzt entweder deine ausländerfeindlichen Sprüche für dich behalten oder du steigst gleich beim nächsten Kollegen ein.“ Was er dann auch tut.

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Eine Abholung aus der Notaufnahme des Klinikums: die 75jährige Frau will nach Bad Sulza. Unterwegs fragt sie, ob ich von meiner Arbeit leben könne. Es entspinnt sich ein Gespräch über die Lebensumstände heute und früher. Sie erzählt von den Wohnungsmieten zu DDR-Zeiten und sagt: „Ich zahl jetzt für eine 1-Raum-Wohnung 380 €!

Eigentlich unfaßbar. Das Haus ist von einer Wessi-Firma ans Ilm-Ufer gebaut worden. Da wurde früher nie gebaut, weil das immer überschwemmt wird. Aber die meinten wohl, jetzt, wo der Westen hierhergekommen ist, paßt sich die Ilm an und bleibt in ihrem Flußbett.“

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Zwei angetrunkene Männer steigen am Goetheplatz ins Taxi. Die Fahrt geht nach Weimar-West, eine der beiden größten Plattenbausiedlungen der Stadt. Kurz vor dem Ziel sagt einer der beiden: „Halt mal ein bißchen vorher, muß ja nicht jeder sehen, daß wir mit der Taxe kommen. Ist schließlich Hartz-IV-Gebiet.“ Der andere sekundiert: „90 % dürften das von denen sein, die hier wohnen. Und die leben besser als wir.“

Zum Glück ist die Fahrt vorbei, denn auf eine Diskussion mit alkoholisierten nationalistischen Proleten, die ihren Haß und Frust über andere Zukurzgekommene auskübeln, habe ich nachts um 1.30 Uhr keine Lust.

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Auf mdr Figaro wird gerade eine Podiumsdiskussion zum 150jährigen Bestehen der SPD übertragen. Hartz-IV-Haudegen Franz Müntefering: „Wir haben den Kapitalismus gebändigt, indem wir dafür gesorgt haben, daß die Menschen Versicherungen haben, Tariflohn kriegen und Kaffeepause machen können.“

An dieser Stelle schlägt der Ärger über die ganze verlogene Proletenverarsche durch SPD-Führer quantensprungmäßig in überwältigende Heiterkeit um. Ich rutsche vor Lachen fast vom Sitz.

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Ein Einsteiger am Theaterplatz zur Bauhaus-Uni: eine elende Kurzstrecke, aber der Fahrgast entpuppt sich als netter Mensch und Quelle neuer Einblicke in ungeahnte Facetten der arbeitsteiligen Gesellschaft. Er erzählt, daß er zu einem Promenadologen-Treffen in Weimar ist. Ich so: „??“ Dann: „Und als was oder in welcher Eigenschaft nehmen Sie daran teil?“ Er: „Ich bin selbst Promenadologe!“

Ich erfahre noch, daß er sogar Professor ist und das Fach im Saarland unterrichtet, wobei es sich bei der Disziplin der Promenadologie „um die Auswirkung des urbanen Raumes auf Individuen oder Kollektive handelt sowie um die Interaktionen zwischen beiden“. Heute hat mein Fahrgast eine Stadtbegehung mit Studenten unternommen und sie auf Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungshaltungen aufmerksam gemacht. Da überdenke ich schon mal meine eigene Berufswahl …

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Drei oder vier Erzgebirgler, zu Besuch in Weimar, steigen in die Großraumtaxe, begleitet von ihren Weimarer Freunden. Sie sind grimmig entschlossen, auf der „Kirmes“ in Berlstedt „Spaß zu haben“.

Auf der Fahrt entspinnt sich folgender Dialog zwischen den wüst tätowierten jungen Leuten:

„Wie heißt der eine Fußballer noch mal? Uwe ...?“ „Uwe Seeler“ „Nee, ich meine den, der der die Steuern hinterzogen hat.“

„Uli Hoeneß“ „Ja, genau. Da sagt doch gestern einer zu mir: Das geht ja gar nicht, früher Chef von der DDR und heute Steuerbetrüger!“

Es folgen verständnisloses Schweigen und Gegrunze bei den anderen.

„Na ja, daß der früher Chef von der DDR war und heute als Fußballpräsident Steuern hinterzieht!“ Da hab ich ihm gesagt: „Mann, der hieß doch Honecker und nicht Hoeneß ...“

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Fahrer St., Dritter am Stellplatz, lädt vier Fahrgäste ein und fährt mit ihnen davon. Diesen Verstoß gegen die ungeschriebenen Taxifahrerregeln kommentiert Fahrer M., einer der nachdenklicheren Kollegen, so: „Der Kapitalismus macht die Menschen böse, weil er die Gier anstachelt. Ich hätte 1989 nie gedacht, daß es mal so schlimm wird – und es wird immer noch schlimmer.“