RotFuchs 197 – Juni 2014

Am 3. Juni 1919 wurde Eugen Leviné in München hingerichtet

Bannerträger der Bayerischen Räterepublik

Günter Freyer

Das von der Konterrevolution installierte und beauftragte Gericht verkündete am 3. Juni 1919 ein Todesurteil. Offensichtlich aber waren sich die fünf Juristen nicht sicher, ob sich dieses mit Recht und Gesetz in Übereinstimmung bringen ließ. Deshalb legten sie es der bayerischen Regierung vor. Deren Entscheidung wurde in einem amtlichen Protokoll festgehalten: „Der Ministerrat des Freistaates Bayern hat in der Sitzung vom 4. Juni 1919 beschlossen: Das auf Todesstrafe lautende Urteil des standrechtlichen Gerichts München gegen Dr. Eugen Leviné, geboren am 10. Mai 1883 in Petersburg, Schriftsteller, zuletzt in München, ist zu vollstrecken.“ Die neun Unterzeichner waren allesamt Minister und Staatsfunktionäre der seit dem 12. Januar im Amt befindlichen SPD-Regierung. Ministerpräsident Johannes Hoffmann drückte sich vor dem Votum, indem er kurzfristig eine Besuchsreise in die Schweiz antrat.

Wer war Eugen Leviné?

Geboren wurde er am 10. Mai 1883 in St. Petersburg als Sohn einer vermögenden Kaufmannsfamilie. Der Vater Julius hieß ursprünglich Levin, hatte aber als Jude keinen Zugang zu höchsten Kreisen in der damaligen russischen Hauptstadt. Deshalb nahm er die italienische Staatsbürgerschaft an und änderte seinen Namen in Leviné. Seine Familie verehrte alles Deutsche, sprach deutsch und pflegte deutsche Kultur. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit den Kindern nach Heidelberg, wo Eugen seiner Klassenzugehörigkeit entsprechend erzogen wurde: Privatschule, Kunst-, Musik- und Tanzunterricht. Mit 20 nahm er an der Heidelberger Universität das Jurastudium auf. Hier traf er auf russische Kommilitonen, die sich politisch als Sozialrevolutionäre und Gegner des Zaren verstanden. Mit ihnen ging er 1905 zurück nach Petersburg, um sich der Revolution anzuschließen. Er trat der Partei der Sozialrevolutionären bei und stellte sich ihr als Propagandist und Waffentransporteur zur Verfügung. 1907 erwischte ihn die zaristische Geheimpolizei Ochrana, die ihn so brutal folterte, daß er Monate im Hospital zubringen mußte. Vor der Vollstreckung der gegen ihn verhängten Gefängnisstrafe bewahrte ihn seine Mutter, die Beamte bestach und eine Kaution zahlte.

Wieder in Heidelberg, setzte er das Studium – nun im Fach Nationalökonomie – fort. 1912 promovierte er. In dieser Zeit erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft und trat 1909 in die SPD ein. Hier sah er seine Aufgabe darin, Arbeitern und Mitgliedern proletarischer Jugendorganisationen die sozialistische Politik zu erläutern. Inzwischen konsequenter Marxist, schloß er sich 1913 in Berlin dem linken Flügel der SPD an. Angesichts der heraufziehenden Kriegsgefahr wurde er zum entschiedenen Gegner des imperialistischen Völkermordens. Er machte die Antikriegspolitik der Linken zu einem Hauptthema seiner Reden und Artikel. Das bewahrte ihn allerdings nicht davor, 1916 selbst zum Militär eingezogen zu werden. Wegen seiner schwachen Gesundheit mußte er nicht an die Front. Man setzte ihn als Dolmetscher in einem Gefangenenlager für russische Offiziere ein. Da er auch dort politisch agitierte, entließ man ihn bald. Der Lagerkommandant verabschiedete ihn mit den Worten: „Wir haben von Ihrer revolutionären Vergangenheit erfahren und können Sie unmöglich in dieser Stellung belassen. Es gibt Sozialisten und Sozialisten. Manchen geht es um das Glück ihres eigenen Landes und sie tun alles zur Unterstützung des Krieges. Sie aber sind ein Weltbeglücker. Sie streben nach dem Glück der ganzen Menschheit – und das ist sehr gefährlich.“

Dem preußisch-deutschen Militarismus entronnen, arbeitete Eugen Leviné zunächst als Universitätsdozent in Heidelberg. Anfang 1918 trat er in die Dienste der sowjetrussischen Botschaft und der Nachrichtenagentur ROSTA. Als am 9. November in Deutschland die Revolution begann, wurde er als Mitglied des Spartakusbundes zu einem ihrer maßgeblichen Führer. Vorwiegend im Ruhrgebiet tätig, suchte er, die Arbeiter zu mobilisieren. Der Essener Arbeiter- und Soldatenrat delegierte ihn als seinen Vertreter zum Reichsrätekongreß, der im Dezember in Berlin stattfand. Am Jahresende gehörte er zu den Mitbegründern der KPD, und während der Januarkämpfe 1919 leitete er als Chefredakteur den vorübergehend von Revolutionären herausgegebenen „Vorwärts“. Angesichts der massiven Konterrevolution warnte er: „Und wir sind der Ansicht, daß Ebert mindestens ebenso bereit ist, auf Mutter und Vater schießen zu lassen wie Wilhelm von Hohenzollern.“

Noskes Mörderbanden in Berlin entkommen, ging Eugen Leviné unter dem Pseudonym „Nissen“ Anfang März 1919 auf Weisung der Partei nach München. In der bayerischen Hauptstadt war die Revolution noch nicht niedergeschlagen worden. Obwohl dort seit Januar eine gewählte sozialdemokratische Staatsregierung existierte, bestimmten in München Arbeiter und Soldaten im Bunde mit bürgerlichen Demokraten die Politik. Leviné sollte helfen, eine kommunistische Parteiorganisation aufzubauen und die Parteizeitung „Münchner Rote Fahne“ leiten.

Als die Sozialdemokraten am 7. April in Täuschungsabsicht eine „Räterepublik“ ausriefen, warnten Leviné und die KPD vor diesem Konstrukt. Erst als die Reaktion in der Nacht vom 12. zum 13. April durch einen Militärputsch die alte Ordnung wieder herstellen wollte, proklamierten die revolutionären Kräfte ihre Räterepublik, an der sich die Kommunisten aktiv beteiligten. Die Arbeiter- und Soldatenräte wählten einen Aktionsausschuß und einen Vollzugsrat mit Eugen Leviné an der Spitze.

In Abstimmung mit Reichspräsident Ebert und Noske setzte die aus München nach Bamberg geflohene Staatsregierung zahlenmäßig weit überlegene und schwer bewaffnete Reichswehrtruppen sowie faschistoide Freikorps in Marsch, welche die bayerische Rote Armee in schweren Kämpfen besiegten und die Räterepublik am 3. Mai grausam niederschlugen.

Am 13. Mai fiel Eugen Leviné den Häschern in die Hände. Für ein Kopfgeld von 10 000 Reichsmark wurde er aufgespürt und verraten. In dem gegen ihn inszenierten Prozeß verteidigte er die Politik der KPD und seine eigene revolutionäre Überzeugung mit einer großartigen Rede.

Alle Versuche, auch von Persönlichkeiten aus dem bürgerlichen Lager, die Vollstreckung der Todesstrafe abzuwenden, blieben erfolglos. Ein Gnadengesuch wurde von der SPD-Reichsregierung nicht bearbeitet. Am 3. Juni 1919 starb Eugen Leviné mit dem Ruf: „Es lebe die Weltrevolution!“ im Zuchthaus München-Stadelheim unter den Kugeln eines Erschießungskommandos.