RotFuchs 191 – Dezember 2013

Warum Obamas Minister Shinseki 278 565 Mitarbeiter braucht

Das Trauma der Kriegsveteranen

Ulrich Guhl

Wer kennt eigentlich Eric Shinseki? Außerhalb der USA ist dieser Mann mit Gewißheit eines der am wenigsten bekannten Mitglieder der Obama-Administration. Dabei leitet er das zweitgrößte Ministerium der Vereinigten Staaten nach dem Pentagon. Sein Budget beträgt 93,4 Milliarden US-Dollar. Shinseki steht an der Spitze des bereits 1930 gegründeten Kriegsveteranenministeriums. Sein „Haus“ versorgt die Veteranen sämtlicher amerikanischen Kriege in aller Welt, kümmert sich um deren Familienangehörige und ist für die Pflege von 123 der 139 Nationalfriedhöfe der USA zuständig.

Schaut man sich die Liste jener Aggressionen an, welche die Vereinigten Staaten allein seit 1945 angezettelt haben, dann muß die Zahl „militärischer Operationen“ schockieren. Sie vermittelt den Eindruck, daß bei dem Riesenheer der Bediensteten Minister Shinsekis kein Mangel an Arbeit bestehen dürfte. Allein bis zum Kosovo-Krieg 1998 brachte es die Führerin der „westlichen Wertegemeinschaft“ auf 105 Interventionen! Im 21. Jahrhundert folgten bereits weitere Überfälle auf Afghanistan, Irak und Libyen.

Nach unabhängigen Recherchen starben von 1945 bis 2000 durch Waffen oder Kampfstoffe der USA zwischen 20 und 30 Millionen Menschen – drei Millionen von ihnen waren Vietnamesen, über denen Maschinen der U.S. Air Force die berüchtigte „Entlaubungschemikalie“ Agent Orange massenhaft versprühten. Seit 2001 verlieren Tag für Tag etwa 500 Erdenbürger durch das, was Bush und Obama, aber auch Merkel und Cameron als „humanitäre Interventionen“ ausgeben, auf grauenvolle Weise ihr Leben. In diesem Zeitraum verschlang der Export westlicher Vorstellungen von Freedom & Democracy rund sechs Billionen Dollar – eine Milliarde am Tag. Diese Summen beziffern indes nur die Ausgaben der USA selbst – die Folgekosten für die Bevölkerung der überfallenen Länder bleiben dabei unberücksichtigt. Niemand berechnet vernichtete Ernten und Ressourcen oder zerstörte Infrastruktur. Solche Schäden sind kaum in Dollar-Beträgen zu beziffern. Wie könnte die Welt heute aussehen, wenn diese enormen Summen humanitären Zwecken zugeflossen wären!

An jedem 11. November begeht man in den USA den Tag der Veteranen. Dann werden Paraden abgehalten und die Teilnehmer sämtlicher US-Kriege in pathetischen Inszenierungen überschwenglich als Helden gefeiert. Die Koordinierung dieses falschen Pathos liegt in den Händen von Shinsekis Super-Ministerium.

Wenn man allerdings sämtliche Kriege der USA betrachtet – ist da seit Aufkündigung der Antihitlerkoalition etwa noch irgendwo Heldenhaftes vollbracht worden? War es etwa heroisch, die Philippinen, Korea, Guatemala, Kongo, Grenada, Irak oder Afghanistan mit Krieg und Tod überziehen? Sind nicht statt dessen die Völker kleiner Länder wie Kuba und Vietnam die wahren Helden, weil sie – dem biblischen David gleichend – Goliath erfolgreich die Stirn geboten haben? Übrigens war Obamas Minister Shinseki selbst einer von denen, die aktiv am Überfall auf das vietnamesische Volk teilnahmen.

Liest man die Namen der schwachen und oft bettelarmen Staaten, die seit 1945 auf Befehl Washingtons militärisch bombardiert, ökonomisch ruiniert, ökologisch toxifiziert und durch von der CIA geführte Putsche faschisiert wurden, so kann man nicht umhin, in der durch eine verlogene und schwülstige Propaganda als glorreich dargestellten U.S. Army trotz des persönlichen Mutes vieler ihrer Angehörigen eine der feigsten Armeen der Menschheitsgeschichte zu erblicken. Die technologisch hochgerüsteten Streitkräfte der USA führen seit fast 70 Jahren ihre Feldzüge gegen Entwicklungsländer – ein Vorgang, der dem Schlagabtausch zwischen einem Schwergewichtsboxer und einem Rollstuhlfahrer gleicht.

Wenn BRD-Politiker ohne Unterlaß die Vorbild- und Führungsrolle der Vereinigten Staaten im Munde führen, dann sollten wir doch die Frage stellen, was ihnen da eigentlich als so vorbildhaft vor Augen steht. Ist es das große Morden? Wer andere töten will, bedarf der dazu benötigten Mordinstrumente. Auch in dieser Hinsicht folgt Merkels freiheitlich-demokratisches Paradies, das längst zum drittgrößten Waffendealer der Welt aufgestiegen ist, dem überseeischen Beispiel. Und dabei möchte man diesen Umsatz im Kapitalinteresse ins unermeßliche steigern. Das aber geht nur, wenn verpulvertes Kriegsmaterial rasch wieder ersetzt werden muß. Wer im Waffenexport die Nase vorn hat, kann kein Friedensengel sein!

Da ist der Erfahrungsvorsprung des „Hauses“ Shinseki auch für die BRD von großem Nutzen. Bedarf es doch möglicherweise irgendwann einer bundesdeutschen Behörde, die sich auf höchster Ebene mit der Kriegsveteranenbetreuung zu befassen hat. Schon heute beansprucht die Behandlung schwerer posttraumatischer Leiden aus Afghanistan zurückgekehrter Bundeswehrangehöriger erhebliche finanzielle Mittel und medizinische Kapazität.

Tun wir alles dafür, daß hierzulande nicht eines Tages eine solche Situation entsteht, wie jene, mit der Shinsekis Behörde geradezu vorrangig befaßt ist: der massenhaften Betreuung suizidgefährdeter Heimkehrer aus den auch in den eigenen Reihen Horror erzeugenden Kriegen des Imperialismus.