RotFuchs 205 – Februar 2015

Das finanzpolitische Knäuel des Kapitals läßt sich entwirren
(Teil 2 und Schluß)

Des Pudels Kern

Bernd Gutte

Das war die verhängnisvolle, periodisch wiederkehrende Epidemie, deren Verheerung alle zehn bis fünfzehn Jahre an den sogenannten schwarzen Freitagen den Markt reinfegt und den Boden mit Trümmern bedeckt. Jahre müssen vergehen, bis das Vertrauen wiederentsteht, die großen Bankhäuser wiederhergestellt werden, die Spekulationsleidenschaft von neuem auflebt, entfacht wird und die Geschichte wieder von vorn beginnt, eine neue Krise herbeigeführt wird und in einem neuem Krach alles vernichtet.“

So schildert der große französische Literat Emile Zola in seinem Roman „Geld“ die schlimmsten Folgen der Spekulation und betrügerischer Finanztransaktionen. Es geht dabei um die Zeit zwischen 1864 und 1869. Zur Geschichte des Kapitalismus gehörten auch schon damals immer wieder Krisen, in die er abstürzte. Doch wie der aus dem Wasser herauskommende und sich schüttelnde Hund konnte er, dem dürren Kläffer gleichend, immer wieder ans Ufer gelangen und vorübergehend sogar einmal mehr als streichelnswert erscheinen. Doch inzwischen steht die Herrschaft des Kapitals als der häßliche Köter nackt und kahl vor uns. Und so mancher, der ihn einst hätschelte, konstatiert wie Goethes Faust: „Das also war des Pudels Kern!“

Selbst die großbürgerliche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) bemerkte zum weltweiten Finanzdesaster: „Die Krise ist nicht vorbei, sie ist systemisch.“ Auf eine Phase nur kurzer Erholung folge umgehend die nächste Depression in einer Reihe von Ländern.

Die Anhäufung finanzieller Mittel über Gelddruckautomaten funktioniert indes nur, wenn es gelingt, akute Probleme in die Zukunft zu verschieben. Mit anderen Worten: wenn künftige Gewinne schon in der Gegenwart kassiert werden.

2008 wurde die Gesamtsumme der Schulden weltweit auf 160 Billionen Dollar beziffert. Das war das Dreieinhalbfache des globalen Bruttoinlandsprodukts. Ich vermag nur auf diese Zahlen zu verweisen, weiß aber, daß sich das Mißverhältnis in den Jahren danach weiter zugespitzt hat.

Die Ratingagentur Standard & Poors (Nomen est omen: poor heißt auf Deutsch: arm!) warnte im August 2014 vor der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in den USA. „Die Reichen besitzen so viel Geld, daß sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Den Armen hingegen fehlen die Mittel fürs Konsumieren! In den USA verdienen fast 50 Millionen Menschen so wenig, daß sie staatliche Lebensmittelhilfe über Coupons beziehen müssen. Was das für eine Volkswirtschaft bedeutet, die zu 70 % auf den Ausgaben der Verbraucher basiert, läßt sich leicht ausmalen.“ Die Agentur fragte: „Zerstören die Auswüchse des Kapitalismus unser Wirtschaftssystem?“

„Spiegel Online“ schrieb: „Tatsächlich aber bleiben die Unternehmensinvestitionen, gemessen an historischen Standards, niedrig – selbst in der Wachstumsoase Deutschland. Entsprechend stagniert die Produktivität, stagnieren die Löhne der Beschäftigten. … EZB-Zahlen zur Kreditvergabe im Euro-Raum zeigen, daß die Nachfrage nach Bankkrediten zwar wieder steigt, daß sie aber vor allem von Hypotheken und Konsumentenkrediten getrieben wird, nicht von den Unternehmen. Finanziert werden Eigentumswohnungen und Urlaubsreisen, aber kaum Investitionen, die die Wirtschaft auf einen neuen Wachstumspfad heben. Und wenn Firmen neue Kredite aufnehmen, dann selten für echte Investitionen, sondern eher fürs Umschulden von Altschulden oder für Restrukturierungen. Also vereinfacht gesagt, um alte Fabriken zu schließen, nicht um neue zu eröffnen.“

Nein, die Krise ist bei weitem nicht vorbei. Die FAZ hat durchaus recht: Sie wohnt dem System inne, ist systemisch.

Bei Emile Zola ging Souveränität des Geldes noch vom Staat aus. Staat und Kapital funktionierten nur zusammen. Ist das Machtverhältnis zwischen beiden auch heute noch so? Nein, es hat sich total verschoben. Der Staat wurde dem Kapital untergeordnet. Er muß sich das Geld, das privatisiert worden ist, jetzt auf dem Finanzmarkt leihen, wobei die Zinsforderungen an die Gesellschaft weitergereicht werden. Er tut das vor allem durch Kürzungen und erhöhte Mehrwertsteuern. Man reduziert die Sozialleistungen und privatisiert die Sozialausgaben. Dieser neoliberale Feldzug, der in Südamerika begann, wobei Chiles Unidad Popular blutig weggeputscht wurde, erstickte auch Portugals Nelkenrevolution und legte den Menschen in Griechenland, Spanien und Italien die Würgeschlinge um den Hals.

Besonders dreist gebärden sich die Geier der Hedgefonds in Argentinien. Bis Mitte der 90er Jahre wurden dort über 90 % der Staatskonzerne verscherbelt, was 2001/2002 zum finanziellen Zusammenbruch des Landes führte. Die Volkswirtschaft am Rio de la Plata war nach kapitalistischen Maßstäben mittlerweile nahezu wieder „gesundet“ – da schlugen die Geier abermals zu. NML-Capital, eine Tochterfirma des Hedgefonds Elliot Management, zahlte 2008 rund 48 Mio $ für den Erwerb von Anleihen an den Staat. Ein Richter in den USA entschied unterdessen, daß NML-Capital jetzt 832 Mio. $ von Argentinien zu bekommen habe – eine Rendite von über 1600 Prozent!