RotFuchs 197 – Juni 2014

Deutsche Einheit:
Der Osten gehört dem Westen

Dr. Horst Schulz

Nach einer Forsa-Sondierung im Auftrag der „Märkischen Allgemeinen“ glauben mehr als die Hälfte aller Altersgruppen von Befragten, es gebe noch immer eine Mauer in den Köpfen, und die vielgepriesene Wiedervereinigung habe nur auf dem Papier stattgefunden.

Der Anschluß der DDR an die BRD ist ausschließlich nach westdeutschen Interessenmaßstäben erfolgt. Der Osten gehört dem Westen. Die soziale Abstufung ehemaliger DDR-Bürger und ihrer Nachkommen zu Deutschen zweiter Klasse ist eine Tatsache. Die außerhalb parlamentarischer Kontrolle als halbkriminelles Unternehmen handelnde Treuhand hat fast das gesamte einstige Volkseigentum an westliche Schnäppchenjäger verschleudert. Grobe Fahrlässigkeit war der Grundsatz, und jede Ungesetzlichkeit wurde durch den Bundesfinanzminister mit Straffreiheit abgesichert. Das war ein Einstellungskriterium für Treuhandbedienstete.

Das Billionenvermögen der DDR und ihrer Bürger wurde verscherbelt, das Land deindustrialisiert. Es handelte sich um eine feindliche Übernahme unter Beteiligung der Kriegsgewinnler und selbsternannter Bürgerrechtler.

Das Auseinanderdriften in eine Gesellschaft mit verarmender Mehrheit und einer sich über diese erhebenden reichen Oberschicht war politisch gewollt. Zwei Drittel der Bevölkerung wurden abgehängt.

Eine sozial verträgliche Gesundheitsreform wird von den Lobbyistenverbänden der Pharmaindustrie, den Ärzte- und Apothekervereinigungen und den Krankenkassen verhindert. Eine Zweiklassenmedizin hat auch im Osten Einzug gehalten.

Die staatliche Einheit ohne soziale Einheit war von den etablierten Parteien beabsichtigt, haben sie doch sich selbst und ihre Klientel mehr als gut versorgt. 95 Prozent der ostdeutschen Rentner aber sind „bestohlen bis zum jüngsten Tag“. Ihre Bezüge wurden auf lange Sicht stark abgesenkt. Selbst bei der Mütterrente verlegt man sich auf Diskriminierung. Wo früher die Mauer stand, verläuft heute ein tiefer Graben zwischen Arm und Reich.

Die Verantwortlichen für diese Situation werden nicht in die Pflicht genommen. Sie lügen und betrügen weiter so, wie es Frau Merkel vor der Wahl 2009 mit der versprochenen „Ostrentenangleichung – mehr Netto vom Brutto“ getan hatte. Nichts davon wurde eingehalten.

Demagogischerweise ist von einem politischen Triumph Angela Merkels die Rede. Trifft das zu?

Rund 71 Prozent der Stimmberechtigten haben an der Bundestagswahl teilgenommen. Die CDU/CSU erreichte knapp 30 Prozent des Votums. Die jetzige Regierung kam nur zustande, weil die SPD aus Opportunismus und Postenjägerei ihr Wahlversprechen, „eine Wende in der Politik“ herbeiführen zu wollen, gebrochen hat, und eine große Koalition eingegangen ist. Die Einheit der Lebensumstände, eine Angleichung an das Niveau der alten BRD, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, freie Jobwahl sind ferner denn je. Um all das zu kaschieren, setzt man die Verunglimpfung früherer DDR-Bürger bis zur Volksverhetzung fort, statt normal mit der DDR-Geschichte umzugehen.

Es ist hohe Zeit, diesem Drama ein Ende zu bereiten und das Thema „Einigkeit und Recht und Freiheit“ realistisch einzuordnen.