RotFuchs 234 – Juli 2017

„Deutschland muß leben,
deshalb muß Hitler fallen!“

Dr. Marianne Linke

Der 8. Mai 1945 ist für uns Deutsche, für die ungezählten unterdrückten Häftlinge in Konzentrationslagern, für die vom Faschismus unterdrückten Völker Europas ein Tag der Befreiung vom Faschismus.

Der 9. Mai 1945 ist ein Tages des Sieges für die Völker der Sowjetunion, der Alliier­ten, der griechischen, italienischen, jugoslawischen Partisanen, der widerständigen Bevölkerung in Europa, aber auch jener Deutschen, die in der Uniform der Sieger­mächte an der Zerschlagung des faschistischen Herrschaftssystems beteiligt waren, die sich in der Emigration bzw. in der Gefangenschaft den Befreiungsbewegungen anschlossen. Ihres Mutes wollen wir heute ganz besonders gedenken.

Am 2. Mai verstarb Heinz Keßler. Er war der letzte direkte Zeuge, er war Gründungs­mitglied der Bewegung der Komitees „Freies Deutschland“, konkret des NKFD am 12. Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau. Als junger deutscher Wehrmachtssoldat war er desertiert und zur Roten Armee übergelaufen. Seine Mutter mußte dies im KZ Ravensbrück büßen.

Am 22. Juni 1941 hatte das Deutsche Reich die Sowjetunion überfallen. „Lebens­raum“ wollte Adolf Hitler im Osten erobern. Er plante den Krieg von Anfang an als Raub- und Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion – in dessen Zentrum die Eroberung und Vernichtung Moskaus, Stalingrads und Leningrads standen. Ein „Blitzkrieg“ war geplant, der nach sechs bis acht Wochen enden sollte.

Buchstäblich auslöschen wollten die Deutschen die Bevölkerung Leningrads. Als „Wiege“ der kommunistischen Oktoberrevolution von 1917 hegte Hitler besondere Verachtung für die ehemalige Hauptstadt des Zarenreichs. „Die Stadt wird nur eingeschlossen, mit Artillerie zerschossen und ausgehungert“, so der Diktator im September 1941. Leningrad sollte nicht erobert werden, eine mögliche Kapitulation war abzulehnen. Die eingekesselten Menschen sollten elendig krepieren – ein beispielloses Kriegsverbrechen.

Im Januar 1943 konnte die Rote Armee einen schmalen Landkorridor sichern, aber erst am 27. Januar 1944 sprengten die Rotarmisten die Abriegelung der gepeinigten Stadt endgültig. Nach fast 900 Tagen war Leningrad wieder frei, Schätzungen von Historikern zufolge kostete die deutsche Blockade rund eine Million Menschen das Leben. Genau ein Jahr später wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Dazwi­schen lag Stalingrad.

Am 19. August 1942 griff die 6. Armee Stalingrad an, unterstützt von Bombenan­griffen – in wenigen Wochen war die Stadt vollkommen zerstört, nach 200 Tagen Kampf waren zwei Millionen Menschen vernichtet.

Stalingrad wurde zum Massengrab der deutschen Wehrmacht. Von den 300 000 deutschen Soldaten, die nach Stalingrad gezogen waren, kamen 150 000 zu Tode. Ungezählt, ungenannt bleiben die Opfer auf der Seite der siegreichen Roten Armee, der sowjetischen Bevölkerung.

Zu jenen Deutschen, die sich der Eroberungspolitik des faschistischen Deutschland organisiert widersetzten und hierbei breite Bündnisse zu schaffen suchten, gehörten die kommunistischen Widerstandskämpfer und deutschen Patrioten, Menschen, die ihr Land liebten, seine Menschen, seine Kultur und sich aus humanistischer Überzeu­gung gegen diese sinnlosen Vernichtungs- und Eroberungsfeldzüge der deutschen Machthaber stellten.

Zu ihnen gehörten: Wolfgang Abendroth, Johannes R. Becher, Ernst Busch, Heinrich Graf Einsiedel oder Peter Gingold. Viele der Genannten kehrten nach 1945 nach Deutschland zurück, die meisten lebten später in der DDR und setzten dort das in der Emigration Begonnene in ihren zivilen Berufen fort. Ihr antifaschistisches Engage­ment war ungebrochen und in der DDR stets hochgeschätzt.

Anders in der BRD! Hier wurden die Genannten geächtet.

Am 8. September 2009 beschloß der Deutsche Bundestag endlich – 64 Jahre nach Kriegsende – die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter.

30 000 Deserteure, Verweigerer und „Kriegsverräter“ wurden durch NS-Richter zum Tode verurteilt. Etwa 20 000 von ihnen wurden hingerichtet. Nach dem Krieg erfuhren die Überlebenden und ihre Familien Ächtung und Ablehnung durch Staat und Gesell­schaft in der Bundesrepublik, wurden somit zum zweiten Male gedemütigt.

Alle diese NS-Unrechtsurteile sind nun seit 2009 aufgehoben. Viele, die meisten der Betroffenen, haben diese Rehabilitierung nicht mehr erleben können.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker betonte in seiner Rede anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung 1985:

„… Wir dürfen den 8. Mai nicht vom 30. Januar 1933 trennen … Wir haben allen Grund, den 8. Mai als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen – ein Datum, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“

Dr. Marianne Linke ist Mitglied der Partei Die Linke.
Der Artikel enthält in gekürzter Fassung ihre Rede vom 7. Mai 2017 in Stralsund.