RotFuchs 201 – Oktober 2014

Nehmen Washington und Brüssel
Kurs auf eine neue Kuba-Politik?

Die Blockade bröckelt

Jörg Rückmann

Ausländische Delegationen geben sich derzeit in Kuba die Klinke in die Hand. Sie bekunden Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit und der Verbesserung der Beziehungen zu dem sozialistischen Land. Sogar der Chef der US-Handelskammer, Thomas J. Donohue, stattete der Insel im Mai 2014 einen Besuch ab und forderte von Havanna aus die Beendigung der Blockadepolitik seiner Regierung.

In der EU und den Vereinigten Staaten mehren sich die Stimmen für eine neue Kuba-Politik. Ein Grund ist die ökonomische Stabilisierung des Karibikstaates. Dessen Sonderwirtschaftszone Mariel und Kubas neues Investitionsgesetz erweisen sich dabei als Anreiz. Vor allem aber bewirkt das gewachsene politische Prestige Kubas in Lateinamerika bei einflußreichen Kreisen der EU und der USA ein Umdenken.

Barack Obama begann 2009 seine erste Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten mit überraschenden Aussagen: Er wolle sich für eine neue US-Politik gegenüber Kuba stark machen und die Beziehungen zu Lateinamerika verbessern, erklärte er damals. Noch im selben Jahr forderte der Außenpolitische Ausschuß des US-Senats im Interesse der Vereinigten Staaten Gleiches ein.

Im Mai dieses Jahres überraschte Floridas Ex-Gouverneur, Charles Crist Jr., die internationale Öffentlichkeit mit seinem Verlangen nach Aufhebung der US-Blockade. Zugleich wandten sich 44 hochrangige Persönlichkeiten der USA in einem offenen Brief an Obama. Darin verlangten sie Maßnahmen zur Lockerung der Blockade, über die der Präsident ohne Mitwirkung des Kongresses entscheiden kann.

Für Medienwirbel sorgte auch Ex-Außenministerin Hillary Clinton in ihrer Autobiographie. Dort spricht sie sich für ein Blockade-Ende aus. Offenbar scheint sich Frau Clinton für das Präsidentenamt der USA zu interessieren.

Vollzieht sich hier ein Sinneswandel? Tatsächlich nimmt der Druck auf Washington zu. Vor allem Vertreter der Wirtschaft fordern ein Umdenken. Mit Sorge verfolgen sie das gesteigerte Engagement Chinas, Rußlands und Brasiliens in Kuba, das ihre eigenen Handels- und Investitionsmöglichkeiten dort schmälert.

Zu Jahresbeginn 2014 sprachen sich 56 Prozent der US-Bürger (im Bundesstaat Florida sogar 63 %, selbst bei den Exilkubanern 52 %) für eine Änderung der Politik ihrer Regierung gegenüber dem sozialistischen Inselstaat aus.

Immer offener thematisieren auch US-Medien die Problematik der Kuba-Blockade. In der „Washington Post“ las man am 10. Juni: „Wenn überhaupt, dann isoliert die Blockade nicht Kuba, sondern die Vereinigten Staaten … Die Fortsetzung einer Politik, die seit mehr als 50 Jahren unter zehn Präsidenten gescheitert ist und das US-Business untergräbt, klingt nicht sehr vernünftig.“

Trotz solcher neuen Töne vermittelt das politische Handeln der US-Regierung ein ganz anderes Bild. Das U.S. State Department betrachtet Kuba als einen Staat, „der den internationalen Terrorismus fördert“. Mit dieser Begründung konfisziert das US-Finanzministerium alljährlich eine dreistellige Millionensumme aus Banküberweisungen für Havanna (2013 handelte es sich um 257,8 Mio. US-Dollar).

Gleichzeitig stellt Washington enorme Beträge zur Finanzierung antikubanischer Aktivitäten und zur Unterstützung von „Dissidenten“ bereit.

Inzwischen streben USA und EU das Freihandelsabkommen TTIP an. Über Inhalte und Verlauf der Verhandlungen wird völliges Stillschweigen gewahrt. Warum diese Geheimhaltung? Sollen etwa Bestimmungen über eine Fortsetzung der antikubanischen Blockade oder ein „gemeinsamer Standpunkt“ hierzu in ein solches Abkommen übernommen werden?

In den USA stößt eine Neuausrichtung der offiziellen Kuba-Politik nach wie vor auf heftigen Widerstand einflußreicher Kräfte. So reagierte die antikubanische Szene in Florida mit Empörung auf die Kuba-Visite des Zucker-Magnaten Alfonso Fanjul, der zu Jahresbeginn seine Investitionsbereitschaft signalisiert hatte. In Havanna sind es US-finanzierte „Dissidenten“ wie die berüchtigten „Damen in Weiß“, welche jegliche Lockerungen der Blockade mit der Begründung kategorisch ablehnen, sie verlängere nur die „Lebensdauer des Regimes“.

Auch andere müssen sich fragen lassen, ob ihre frommen Beteuerungen, sie seien für zwischenstaatliche Beziehungen auf der Basis von Gleichberechtigung und gegenseitiger Achtung, tatsächlich so gemeint sind. Beispielsweise erklärte Hillary Clinton, die Blockade sei „Castros bester Freund“ und liege nicht länger im amerikanischen Interesse, da sie der Herbeiführung eines „Systemwechsels auf der kommunistischen Insel“ abträglich sei.

Am 2. Februar 2014 beschlossen die EU-Außenminister, Kuba Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen vorzuschlagen. Ende April fanden dazu erste und im August weitere Beratungen statt, wobei der 1996 von Spaniens damaligem rechtskonservativem Premier Aznar durchgesetzte „Gemeinsame Standpunkt“ noch nicht zurückgenommen wurde. Dieser besagt, daß die Voraussetzung für normale zwischenstaatliche Beziehungen mit Kuba ein dortiger „Systemwechsel“ sei.

Ein umfassendes Kooperationsabkommen wäre für die Beziehungen zwischen der EU und Kuba ein großer Fortschritt. Bisher haben 14 EU-Länder – trotz des „gemeinsamen Standpunktes“ – bilaterale Verträge mit Kuba abgeschlossen. Die BRD gehört allerdings nicht dazu.

Die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) deckte im Mai 2014 die Karten auf: „Es ist eines der wichtigsten Motive des europäischen Engagements, die eigene Stimme in Kuba vernehmbar zu machen … Ein postcastristisches Regime könnte sich gegebenenfalls vom revolutionären Erbe einfacher befreien … Die europäische These, ökonomische Öffnung habe eine Verstärkerwirkung für politischen Wandel, hat sich im Falle Kubas … bislang aber nicht bestätigt; sie bleibt eine mittelfristige Erwartung.“

Die kubanische Regierung mußte zur Kenntnis nehmen, daß BRD-Außenminister Steinmeier am 27. Juni kubanische „Dissidenten“ in seiner Behörde empfing.

Mit anderen Worten: Weder die USA noch die EU haben ihr Ziel jemals aufgegeben, Kuba „vom Sozialismus zu befreien“.

Gekürzter und redaktionell bearbeiteter Nachdruck eines Beitrags aus „Cuba Sí revista“, 2/2014