RotFuchs 232 – Mai 2017

Die Oktoberrevolution –
ihre historische Bedeutung

Klaus Konjetzky

Oktoberrevolution - Ihre welthistorische Bedeutung und die Bundesrepublik Deutschland / Verlag Marxistische Blätter

Dieses Buch hat mich froh gemacht, es hat mir Sicherheit gegeben: Wir brauchen nicht wie die geprügelten Hunde mit gesenktem Kopf durch dieses Land zu schleichen, wir dürfen den Kopf heben, ja, wir haben ein Recht, Ansprüche anzumelden – ich darf mich innerhalb einer weit in die Zukunft weisenden weltgeschicht­lichen Entwicklung sehen. Die Beiträge dieses Buches stellen einen Zusammenhang her; einen Zusammenhang, in dem ich ich mich wiedererkenne, in dem ich ein Stück Weltgeschichte erkenne. Das ist ein Erlebnis: Wenn Geschichte nicht als unveränderbares Schicksal verständlich wird, sondern als etwas von Menschen Gestaltbares – von Leuten wie mir.

Bei der Lektüre und beim wiederholten Reinlesen hat sich bei mir ein Gefühl von Zuversicht eingestellt. Und das will mir gerade hier und heute doch bemerkenswert erscheinen, schließlich handelt dieses Buch – indem es von der sozialistischen Oktoberrevolution handelt – auch von der deutschen Geschichte und von der Gegenwart unseres Landes; und denkt man an die, dann möchte einem zunächst nur wenig Zuversicht Machendes einfallen.

Dieses Buch beschäftigt sich mit einem vergangenen Ereignis als einem weiter­wirkenden Prozeß – also keinem singulären Phänomen. Zur Oktoberrevolution muß man sich verhalten, so oder so.

Das Buch stellt Größenordnungen her: Wo die Bourgeoisie seit 60 Jahren verbissen bemüht ist, die Ereignisse von 1917 an Europas Peripherie hinzulügen und sie als lokalen, spezifisch russischen, möglichst sogar asiatischen Putsch abzukanzeln, rücken die Autoren dieses Sammelbandes die Oktoberrevolution in jenes historische Licht und stellen sie in jenen weltgeschichtlichen Kontext, innerhalb dessen 1917 als ein epochaler Einschnitt verstanden werden kann und muß. Und den Autoren gelingt es, deutlich zu machen, daß jener ferne Oktober in einer ganz fundamentalen Weise unsere Gegenwart beeinflußt, daß er uns heute in der BRD oder irgendwo in der Welt lebenden Menschen eine neue Orientierung und Perspektive schafft.

Dieser dynamische Zusammenhang von Geschichte und unserer Gegenwart bestimmt die Anlage des Buches: Die Auseinandersetzungen mit der heutigen Lage in unserem Land werden verknüpft mit Zeitdokumenten, die der Aktualität ihre historische Dimension verleihen; die Analysen der Klassenauseinandersetzungen in unseren Tagen erhalten einen unmittelbaren Bezug zum revolutionären Weltprozeß. In diesem Sinne vermittelt das Buch geschichtliche Kontinuität und dokumentiert eine auch bei uns vorhandene revolutionäre Tradition.

Dem Einführungsaufsatz von Herbert Mies „Die Veränderung der Welt durch die Oktoberrevolution und ihre Bedeutung für die Bundesrepublik“, in dem Mies zeigen kann, was das für die in Deutschland um die Befreiung vom reaktionären Obrig­keitsstaat Kämpfenden und für uns in der BRD bedeutet, daß dort in Rußland eine Idee, eine utopische Alternative Realität geworden ist …

„Gegenüber dem Spekulieren und Theoretisieren über alle möglichen Revolutions- und Sozialismusmodelle hat die Beschäftigung mit der Oktoberrevolution den großen Vorteil des Bezugs auf die Praxis ... Und was hätte wohl die Geschichte der Arbeiter­bewegung für uns für einen Sinn, wenn wir nicht bereit wären, gerade aus ihrem größten Triumph zu lernen!“

Diesem Aufsatz folgt ein Grußschreiben von Karl Liebknecht an den VI. Allrussischen Sowjetkongreß vom 6. November 1918: „Wir stehen an einem Wendepunkt der Geschichte. Die Revolution ist für die Werktätigen und Unterdrückten aller Völker zum Appell und zum Kampfruf geworden. Die russische Sowjetrepublik wurde zum Banner der kämpfenden Internationale, sie rüttelt die Zurückgebliebenen auf, erfüllt die Schwankenden mit Mut und verzehnfacht die Kraft und Entschlossenheit aller … Eine neue, bessere Welt nimmt ihren Anfang … Hört das, ihr Herrscher, und zittert!“ Dieses Prinzip, historische Verbindungen sichtbar zu machen, Linien zu ziehen von der Vergangenheit in die Gegenwart, macht dieses Buch von einer interessanten Aufsatz­sammlung zu einem ungemein anschaulichen Geschichtslesebuch, zu einem Buch über uns.

Es folgt Renate Riemeck zum „Dekret über den Frieden“, mit dem die Sowjetmacht in der ersten Stunde das Hauptthema sozialistischer Politik anschlug: der Friede. Zugeordnet ein Text von Rosa Luxemburg „Zur russischen Revolution“ (1918). Wolfgang Abendroth schließt seinen Aufsatz „Die Oktoberrevolution und die deutsche Arbeiterbewegung“ mit dem Satz: „Die Lehren, die unmittelbar nach der Gründung des sowjetischen Staates große Teile der deutschen Arbeiterklasse gezogen hatten (und ohne die in Deutschland noch nicht einmal die bürgerliche Demokratie im November 1918 entstanden wäre), müssen immer wieder ins Gedächtnis der abhängig arbeitenden Klasse und der Intelligenzschicht zurückgerufen werden.“

Dann lesen wir von Clara Zetkin („Der Kampf um Macht und Frieden in Rußland“ Aus einem Artikel, November 1917): „… Dieser Kampf wird tiefe, unverwischbare Spuren in die Geschichte graben, den die Proletarier aller Länder leidenschaftlich wünschen, von der bloßen Tatsache, daß er war, wird neues, schöpferisches Leben ausstrahlen …“

So wird die Lektüre zu einem aufregenden und lehrreichen Gang aus der Geschichte in die Geschichte; in die Geschichte der gesellschaftlichen, politischen, wirtschaft­lichen und kulturellen Bewegungen in der BRD.

22 Publizisten, Wissenschaftler, Politiker, Autoren, ergänzt durch Bilder, Dokumente, Reden und Aufsätze verschiedener Persönlichkeiten, Künstler- und Staatsmännern aus dem In- und Ausland öffnen uns eine Tür: Sichtbar wird eine ganze Epoche – ihre Kämpfe, ihre Niederlagen und ihre Siege. Das ist schön, wie die Texte zum Beispiel von Heinrich, Klaus und Thomas Mann, von Franz Mehring, John Reed, Romain Rolland, von Ernst Thälmann, Ernst Toller u. a. eine Brücke schlagen zu den Texten heute in der BRD Lebender, zum Beispiel von Richard Scheringer, Franz Xaver Kroetz, Oskar Neumann, Gunnar Matthiessen, Josef Schleifstein, Richard Hiepe.

Schön, daß in diesem Buch zwischen den wissenschaftlichen, historisch-politischen Abhandlungen (z. B. von Willi Gerns, Horst Holzer, Hermann Gautier, Georg Fülberth, Albert Engelhardt, Kurt Bachmann) und den literarischen Beiträgen und Illustrationen (z. B. von Dieter Süverkrüp, August Kühn, Guido Zingerl, Renate Sendler-Peters, Carlo Schellemann, Carl Timner, Jörg Scherkamp, Jochen Sendler) keine Brüche entstehen.

Aber das muß man lesen und ansehen. Und man muß nicht gleich ein Kommunist sein, um immer wieder von der Dynamik und Kraft angesteckt und mitgerissen zu werden, die von einem Ereignis ausgehen, das für Millionen von Menschen zu einer Wende geworden ist.

Romain Rolland (aus „Gewissen Europas“ Tagebuch der Kriegsjahre 1914–1918):
„… Der Sieg der russischen Revolution erscheint uns entscheidend für die Zukunft Europas. Dieser Sieg würde eine faszinierende Wirkung ausüben. Ohne ihn liefe Europa Gefahr, auf unbestimmte Zeit in seinen armseligen Zwistigkeiten und fruchtlosen Wiederholungen zu verharren …“

Redaktionell bearbeitet aus „DVZ“, 41/1977

Oktoberrevolution 1917
Ihre welthistorische Bedeutung und
die Bundesrepublik Deutschland

Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt am Main 1977
170 Seiten, zahlreiche Abbildungen