RotFuchs 203 – Dezember 2014

Wie der Mangel an Flexibilität zum Selbsttor führte

Die Verbraucherpreispolitik der DDR

Dr. Peter Elz

Der bereits lebhaft diskutierte Beitrag von Dr. Dieter Krause im August-RF hat mich – einen auf diesem Gebiet jahrelang verantwortlich tätig Gewesenen – angeregt, den Problemkreis der Verbraucherpreise nach dem Maß meiner Kenntnisse und Erfahrungen in einen politischen Zusammenhang zu stellen. In der Tat waren die von Genossen Krause aufgeworfenen Probleme – und auch viele andere – durchaus nicht unbekannt. Sie standen im Mittelpunkt kritischer Debatten in Fachkreisen verschiedener Ebenen.

Es ist keinesfalls mein Anliegen, alle getroffenen Preisentscheidungen in der DDR zu rechtfertigen. Doch sie aus heutiger Sicht bewerten und beurteilen zu wollen, zwingt dazu, sich die jeweiligen Situationen, Zielstellungen und historischen Bedingungen vor Augen zu führen.

Auf dem VIII. Parteitag der SED hatte Erich Honecker 1971 das sozialpolitische Programm der Partei begründet. Ein ganz wesentlicher Aspekt war dabei zweifellos das Konzept stabiler Verbraucherpreise. Es beinhaltete – kurz skizziert – folgende Eckpositionen: Die Preise für die elementarsten Bedürfnisse der Menschen wie Wohnen, Energiebezug, Nahverkehr und Grundnahrungsmittel sollten so gestaltet sein, daß alle Bürger der DDR unabhängig von ihrem jeweiligen Einkommen dabei problemlos mithalten konnten. Hier wurde ein deutlicher Kontrapunkt zur im Kapitalismus geübten Praxis gesetzt, steigende Kosten grundsätzlich auf die Endverbraucher abzuwälzen. Hauptsache der Profit stimmt, lautet dort die Devise. Wie die Konsumenten damit zurechtkommen, ist Nebensache. Ein deutliches Beispiel dafür sind die Mieten, die Zug um Zug soweit heraufgesetzt werden, daß Menschen aus niedrigeren Einkommensgruppen sukzessive aus ihren angestammten Wohngebieten verdrängt werden.

Der Preis ist in dieser Gesellschaft eines der wichtigsten Instrumente zur Umverteilung des gesellschaftlichen Gesamtvermögens zugunsten der Kapitaleigentümer und Leistungsanbieter. Nicht zufällig wurden gerade die Immobilienhaie aber auch Einzelhandels-oligarchen wie die Albrechts, Otto, Tengelmann u. a. zu den reichsten Leuten dieses Landes.

Die Anbieter von Produkten und Leistungen für Endverbraucher – Versicherungen, Banken, Telefon- und Verkehrsunternehmen, Immobilienkonzerne, Energie-, Wasser- und Gaslieferanten, Handelshäuser, Krankenkassen sowie Unternehmen der Pharmaindustrie –, beschäftigen hochprofessionelle Fachleute und wissenschaftliche Gremien zu dem einzigen Zweck, sich immer wieder neue Mittel und Methoden auszudenken, um den Konsumenten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der „Normalkonsument“ ist ihnen hoffnungslos ausgeliefert.

Eine sozialistische Preispolitik aber mußte all dem einen Riegel vorschieben. Deshalb wurden Verbraucher- und Industriepreise von Beginn an staatlich festgelegt. Sie galten für sämtliche Eigentumsformen.

Dieser Stabilitätsaspekt – die Unveränderbarkeit einmal festgesetzter Preise – war aus der Erwägung zustande gekommen, daß jegliche Erfolge bei der Produktion von Konsumgütern und auf dem Gebiet der Dienstleistungen sowie sämtliche Lohnerhöhungen nicht, wie im Kapitalismus üblich, durch Preisanstieg wieder aufgezehrt werden dürften. Jeder Werktätige sollte verläßlich planen können, was er bei wachsendem Einkommen mit seinem zusätzlich verdienten Geld anfangen wollte. Die ihm zur Verfügung stehenden Mittel sollten ohne Abzüge der Steigerung des Lebensniveaus dienen.

Diese Grundposition habe ich als selbst mit der Preispolitik Befaßter damals durchaus verstanden, vertrete sie im Prinzip auch heute noch und würde sie künftigen Architekten linker Zukunftsprojekte empfehlen wollen, allerdings keineswegs in ihrer extrem starren und dogmatischen Auslegung.

Um auf die von Genossen Krause erörterte Brot-für-Rindermägen-Problematik einzugehen: Seinerzeit wurde – und ich meine nicht völlig unberechtigterweise – so argumentiert, daß das Konsumgut Brot – gewissermaßen als Symbolnahrungsmittel für elementarste Lebensbedürfnisse der Menschen – im Preis nicht verändert werden dürfe, selbst wenn dadurch die Herstellungskosten nicht mehr gedeckt werden könnten. Niedrige Preise für Brot und andere Nahrungsmittel sollten allen Bürgern das Gefühl der Sicherheit in der Grundversorgung vermitteln.

Nicht anders als bei Brot verhielt es sich auch mit den Aufkaufpreisen für die verschiedensten Agrarprodukte aus privatem Anbau. Jemand brachte z. B. eine bestimmte Menge Mohrrüben zur Aufkaufstelle und erhielt dafür – nehmen wir einmal an – 50 DDR-Mark. Anschließend kaufte der Lieferant das eigene Gemüse dann für 20 DDR-Mark zurück. Obwohl das viele für Wahnsinn hielten, wurde dabei der Hintergedanke verfolgt, einerseits möglichst viel Gemüse und Obst aufkaufen zu können, andererseits aber die Endverbraucherpreise nicht heraufzusetzen, weil eine solche Maßnahme ja die Masse der Käufer träfe. Ich erinnere mich an Analysen, denen zufolge etwa 10 % solcher Nahrungsgüter auf die geschilderte Weise „vergeudet“ wurden.

Obwohl das durchaus kein stichhaltiges Argument ist, möchte ich darauf hinweisen, daß die heutige Verschwendung von Nahrungsmitteln – allein wegen Überschreitung äußerst knapp bemessener Verfallsdaten – bestimmt wesentlich höher sein dürfte.

Die durchaus sinnvolle Politik stabiler einheitlicher Preise bedeutet indes keineswegs, daß sämtliche Preisentscheidungen aus sozialen Erwägungen a priori vernünftig waren und tatsächlich die beabsichtigte Wirkung erzielten. Bisweilen trat gerade das Gegenteil ein.

Das sozialpolitische Programm der SED von 1971, in dessen Rahmen die hier skizzierte Preisbildung zu den wichtigsten Säulen der damals beschworenen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik gehörte, ging von einer recht stabilen Situation aus. Doch bereits wenige Jahre nach Verkündung dieser preispolitisch gutgemeinten Strategie hatten sich die ökonomischen Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert. Die Weltmarktpreise für Erdöl waren drastisch angestiegen, was sich auch auf die DDR sehr negativ auswirkte. Dieser Umstand löste in höchsten politischen Gremien der Republik lebhafte Diskussionen aus, die in Forderungen mündeten, eine Korrektur am sozialpolitischen Konzept vorzunehmen. Mir wurde später bekannt, daß Erich Honecker in einer Sitzung des Politbüros rigoros entschieden habe, solche Überlegungen grundsätzlich einzustellen und alle diesbezüglichen Analysen, Entwürfe und Berechnungen zu vernichten.

Vielleicht mag dem der Gedanke zugrunde gelegen haben, daß ökonomische Probleme nur in der Wirtschaft selbst zu lösen seien, nicht aber – wie im Kapitalismus – durch Abwälzen auf die Schultern der Konsumenten. Zudem glaubte der Generalsekretär damals noch fest daran, daß die weitere Verwirklichung des sozialpolitischen Programms (man denke an die Erfolge im Wohnungsbau) auch mit solchen, wie man meinte, zeitweiligen Schwierigkeiten fertigwerden könnte. Ziemlich sicher ist anzunehmen, daß bei all dem auch die negativen Erfahrungen des

17. Juni 1953 eine maßgebliche Rolle gespielt haben dürften. Damals hatten unpopuläre Maßnahmen, insbesondere auf administrativem Wege erfolgte generelle Normerhöhungen, die DDR an den Rand einer Katastrophe gebracht. Dies durfte keinesfalls erneut passieren.

Ich glaube dennoch, daß Erich Honeckers unverrückbare Entscheidung eine weit in die Zukunft reichende Wirkung hatte. Bis zum bitteren Ende wurde an der dogmatischen Handhabung der Politik stabiler, sprich: unveränderbarer Preise festgehalten – mit deutlich negativen Konsequenzen, wie sich herausstellte. Denn die wirtschaftliche Realität richtete sich natürlich nicht nach den subjektiven Wünschen und Erwartungen der Parteispitze. So gerieten die „starren“ Verbraucherpreise immer mehr in Widerspruch zur tatsächlichen Aufwandsentwicklung, die trotz Erhöhung der Arbeitsproduktivität nicht abgefangen werden konnte. Eine fundamentale Rolle spielten dabei die erhöhten Weltmarktpreise für eine große Skala von Produkten.

Um das Problem zu „lösen“, wurde versucht, durch eine entsprechende Preisbildung für sogenannte neue Erzeugnisse einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Das aber machte die Situation eher noch schlimmer. Auf dem Markt erschienen innerhalb ein- und derselben Erzeugnisgruppe „alte“ Waren zu äußerst niedrigen Preisen neben „neuen“ mit deutlich höheren, wobei deren „Neuheitsgrad“ mitunter kaum wahrnehmbar war.

Dies wurde von den DDR-Bürgern verständlicherweise als Verletzung der ihnen zugesagten Politik stabiler Verbraucherpreise empfunden, zumal mehr und mehr Erzeugnisse unterer Preiskategorien aus dem Angebot verschwanden. Um dem entgegenwirken zu können, wurde die sogenannte Preisgruppenplanung eingeführt, wodurch die Betriebe mit bestimmten Anteilen der Produktion in der unteren, mittleren und oberen Preisgruppe beauflagt wurden.

Diese – man kann fast sagen – verzweifelten Versuche, die sozialpolitische Zielstellung der Verbraucherpreispolitik trotz allem noch irgendwie retten zu wollen, schlugen fehl.

Die Preisstützungen für Erzeugnisse und Leistungen, bei denen stabile, also über lange Zeiträume unveränderte Preise galten, stiegen unaufhörlich, bis sie schließlich fast an die 80-Milliarden-DDR-Mark-Grenze stießen. Betroffen war der weitaus größte Teil der den Gesamtkonsum ausmachenden Waren und Leistungen: Wohnungsmieten, Energie, Nahverkehr, Gebühren und Versicherungen, Grundnahrungsmittel, Baumaterialien, etliche Textilien, technische Konsumgüter u. v. m. Die Subventionen belasteten aber nicht nur den Staatshaushalt der Republik empfindlich, sondern waren auch eine Ursache dafür, daß der Eindruck von DDR-„Mangelwirtschaft“ entstehen mußte. Denn die – auch im Ergebnis der sozialpolitischen Grundkonzeption – weiter gestiegenen Löhne und Gehälter (einschließlich Leistungsprämien) erzeugten ein finanzierbares Verlangen nach Waren und Leistungen, das nicht mehr abgedeckt werden konnte.

Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß das Angebot in diesen beiden Kategorien bis zum Schluß sogar noch gesteigert wurde, während die Kluft zwischen Kaufkraft und Angebot zu „stabilen“ Preisen schneller wuchs, so daß alles, was auf den Markt kam, schnell wieder „abgeräumt“ wurde. Die Spareinlagen der DDR-Bevölkerung betrugen zuletzt fast 200 Milliarden DDR-Mark. (!) Dahinter verbarg sich nicht nur bewußter Konsumverzicht zur Zukunftsabsicherung. Die Kauflust hätte sich bei entsprechendem Angebot schnell aktivieren lassen. Überdies leisteten die niedrigen Preise und Tarife der Vergeudung Vorschub. Das wurde besonders bei Elektroenergie spürbar.

In der Wohnungswirtschaft führten unterbelegte Quartiere mit überzähligen Räumen dazu, daß zu große Wohnungen beibehalten wurden, statt nach angemessenen Ausschau zu halten. Zugleich fehlten die Mittel für Sanierung und Werterhaltung vorhandenen Wohnraums, die statt dessen zur Stützung der Mieten (zuletzt etwa 16 Milliarden DDR-Mark im Jahr!) vergeudet wurden.

Diese Probleme und „Mangelerscheinungen“ haben zweifellos die Grundstimmung der DDR-Bevölkerung sehr negativ beeinflußt.

Auch die zum Teil überzogenen Preise für neue Erzeugnisse wirkten in gleicher Richtung. Mir ist das aus vielen Eingaben bekannt, die an die staatlichen Organe und Parteileitungen bis hin zu Erich Honecker gerichtet wurden. Nach meiner Erinnerung betraf rund die Hälfte von ihnen jene Fragen, auf die sich auch Dr. Dieter Krause bezogen hat.

Die hier geschilderten Probleme blieben den auf diesem Gebiet Verantwortlichen nicht verborgen. Ende der 80er Jahre wurden mehrere Entscheidungsvorlagen dazu ausgearbeitet und dem Politbüro vorgelegt. Dabei verzichtete man bewußt darauf, die Frage der Preise für Brot und andere Grundnahrungsmittel auch nur aufzuwerfen. Es ging um solche hochsubventionierten Erzeugnisgruppen und Waren wie Blumen, Campingartikel. Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Modelleisenbahnen u. a. Auch Wohnungsmieten und Energiepreise spielten jetzt eine Rolle, einschließlich finanzieller Maßnahmen zur Vermeidung sozialer Härten. Alle diesbezüglichen Vorschläge wurden indes durch Erich Honecker abgelehnt. Zwar gab es jetzt kein direktes Verbot weiteren Arbeitens in dieser Richtung mehr, doch letztlich waren alle Anstrengungen auf Sand gebaut.

Die Situation erwies sich als so verfahren, daß ein radikaler Schnitt notwendig gewesen wäre. Uns wurde klar, daß ein „Weiter so!“ weder ökonomisch noch politisch länger zu rechtfertigen war. Aber für einen grundlegenden Wandel war die Zeit abgelaufen. Hinzu kam: Die Versorgungslage der Bevölkerung spitzte sich immer mehr zu, und wenn dann noch Preiserhöhungen hätten durchgedrückt werden sollen, würde das – so mag man an der Partei- und Staatsspitze gedacht haben – die Konterrevolution auslösen. Daß sie trotzdem nicht aufzuhalten war, steht auf einem anderen Blatt.

Aus meiner Sicht gab es eine erschreckende Unwilligkeit und Unfähigkeit, auftretende Probleme bei der Verwirklichung prinzipiell richtiger strategischer Zielstellungen rechtzeitig und gründlich zu analysieren, um notwendige Lösungsschritte festlegen zu können. Dazu gesellte sich eine unsägliche Beratungsresistenz im Hinblick auf viele durchaus vernünftige Überlegungen von Fachleuten, denen man auch politische Kompetenz nicht absprechen konnte. (Ich denke dabei nur an den damaligen Preisminister Walter Halbritter.) Vorlagen wurden ohne jegliche Diskussion einfach „abgeschmettert“. Hinzu kam ein unbegreifliches Mißtrauen in bezug auf die Einsichtsbereitschaft der Bürger. So war es strikt untersagt – und hier tat sich Günter Mittag einmal mehr besonders hervor – über Preisfragen öffentlich zu schreiben oder zu sprechen. Intern wurde zwar immer gefordert, daß diesbezügliche Entscheidungen erklärbar sein sollten, offensiv erläutern durfte man sie aber nicht. Dadurch haben wir uns selbst großen Schaden zugefügt, zumal die gegnerische Propaganda gierig die hier geschilderten Themen aufgriff und deshalb in den Augen eines großen Teils der DDR-Bevölkerung oft glaubhafter erschien als unsere eigene Argumentation.

Unser Autor war Abteilungsleiter im Amt für Preise beim Ministerrat der DDR.