RotFuchs 186 – Juli 2013

Ein Beitrag zur Debatte über die Ursachen des Untergangs der DDR

Eigene Defizite nicht bagatellisieren!

Siegfried Schubert

Seit 15 Monaten bin ich „RotFuchs“-Leser und nicht selten hin- und hergerissen, ob ich mich zu den durchaus sehr interessanten Beiträgen und Leserzuschriften äußern sollte oder auch nicht. Ich habe mich entschlossen, es zu tun.

Für das Verschwinden der DDR wird „die Konterrevolution“ verantwortlich gemacht.

Aber wer war sie? Waren es nur Gorbatschow, Schewardnadse und Schabowski?

Vieles kommt mir bei der Beurteilung der Ursachen für das Werden, Wachsen und Verschwinden der DDR zu kurz. Es kann doch nicht sein, daß für ihren Untergang nur Mängel in der Versorgung, eingeschränkte Reisefreiheit und die willkürliche Reglementierung von Meinungsäußerungen in Frage kommen. An dieser Kritik ändert auch die Tatsache nichts, daß viele Autoren wie Klaus Steiniger, Götz Dieckmann oder der durch mich sehr geschätzte Ulrich Guhl von einem konsequent marxistischen Standpunkt an diese Fragen herangehen.

Während gerade auch bei der Partei Die Linke derzeit ein klares und plausibles Konzept nicht auszumachen ist, wie heutige und künftige Verwerfungen in der gesellschaftlichen Entwicklung korrigiert oder unterbunden werden sollen, müßte man sich im und mit dem „RotFuchs“ noch vehementer dagegen auflehnen, daß offensichtliche Unwahrheiten über die DDR verbreitet und die Lebensleistung von Millionen ihrer Bürger verhöhnt, erniedrigt und beleidigt werden. Ich wehre mich gegen hartnäckiges Verschweigen historischer Tatsachen und alles, was geeignet ist, unser Leben in der DDR zu verstellen, zu verteufeln und zu verleugnen.

Natürlich frage auch ich mich, ob ich mich 1989 hätte zur Wehr setzen sollen, als es mit der DDR augenscheinlich bergab ging – und wenn ja, wie? Ich habe damals den Aufruf von Stefan Heym unterschrieben, weil ich eine bessere DDR wollte, in der ich z. B. auch erst „zehn nach neun“ zur Wahl hätte gehen können, ohne mich in der Partei für mein Tun rechtfertigen zu müssen.

Und natürlich muß ich, der ich 1968 aus Überzeugung in die SED eingetreten bin und im August 1968 freiwillig meinen Dienst in den Grenztruppen der NVA aufgenommen habe, mich auch fragen, was ich selbst zu dieser Entwicklung beigetragen habe.

Im Laufe der Jahre bewegte mich immer wieder das Problem, warum SED und Grenztruppen – ich meine die Führungen beider – immer nur überlegt haben, wie die Grenzsicherungsanlagen noch unüberwindlicher gemacht werden müßten und nicht, wie für ihre Entbehrlichkeit hätte gesorgt werden können.

Mit der Übernahme verantwortungsvollerer Dienststellungen, besonders aber auch im Zuge meines Studiums an der Leipziger Karl-Marx-Universität sowie beim Schreiben meiner Diplomarbeit kamen mir erhebliche Zweifel, ob der Kurs meiner Partei, der SED, dazu angetan war, die mit großem propagandistischem Aufwand verkündeten Ziele zu erreichen. Vieles hing – wie mir schien – „am seidenen Faden“, wirkte sehr angespannt, verkrustet und verfahren.

Von den tatsächlichen Problemen wollte keiner – insbesondere Vorgesetzte – etwas wissen. Man scheute sich zusehends, darüber ehrlich zu sprechen, auf sie aufmerksam zu machen. Vor allem auch deshalb, weil man sich harscher Kritik „von oben“ ausgesetzt sah und sehr schnell des Verlassens eines festen Klassenstandpunktes, der Nörgelei, des Kleinbürgertums, der Herabwürdigung von Erfolgen beim Aufbau des Sozialismus und der Unterschätzung gegnerischer Absichten bezichtigt wurde. Auch in Gesprächen mit Mitarbeitern der Abwehr des MfS winkten diese resignierend ab und meinten: „Die da oben wollen einfach nicht wissen, was wirklich los ist. Für sie zählen nur ,Hurra-Meldungen‘.“

So erging es unzähligen SED-Mitgliedern, die zu den Beschlüssen ihrer Partei gestanden hatten, ohne etwas bewirken zu können. Daher stemmten sie sich nicht gegen die Demonstrationen im Oktober 1989. Sind sie deshalb auch Konterrevolutionäre?

Was mir beim „RotFuchs“, von dessen Heften ich nur einen kleineren Teil gelesen habe, fehlt, ist folgendes: Man setzt sich nicht grundsätzlich und wissenschaftlich fundiert mit der Frage auseinander, weshalb die sozialistischen Staaten Europas und mit ihnen die DDR von der politischen Weltkarte verschwunden sind.

Unser Staat ist doch nicht deshalb kollabiert, weil ein paar tausend Bürger der DDR im Oktober 1989 lauthals ihren Unmut mit den damaligen Zuständen kundgetan haben.

Worin lagen die historischen, ökonomischen, politischen, aber auch personellen Ursachen für die Niederlage des Sozialismus?

Zugleich meine ich, daß es richtig ist, all das zu würdigen, was in 40 Jahren mühevoller Arbeit unter ständigem gegnerischem Störfeuer erreicht wurde.

Es ist doch unbestreitbar, daß es den Bürgern der DDR 1989 deutlich besser ging als beispielsweise 1969. Es ist sicher auch nicht falsch festzustellen, daß dies durch die SED und nicht trotz der SED gelungen ist. Dennoch scheint es mir dringend notwendig zu sein, die sachliche, ehrliche, an Fakten orientierte Diskussion darüber weiterzuführen, weshalb es uns nicht gelungen ist, das Projekt Sozialismus/Kommunismus auf Dauer erfolgreich umzusetzen.

Dazu gehört auch, daß man sich der Wahrheit stellt und nicht weiterhin Mängel und Fehler der eigenen Bewegung bagatellisiert, schönredet, verschweigt oder dem Gegner anlastet.

Ich bin dafür, nicht vor Begriffen wie Sozialismus und Kommunismus zurückzuschrecken, sondern sich zu ihnen zu bekennen. Das hat Ulrich Guhl im Februar-„RotFuchs“ mehr als treffend auf den Punkt gebracht.