RotFuchs 192 – Januar 2014

Ein Steinwurf der Geschichte?

Klaus Steiniger

In der Ära des „großen Besens“, als eine die DDR niedermähende Konterrevolution von manchen noch als „unsere friedliche Revolution“ empfunden oder dargestellt wurde, entstand eine künstlerisch sehr gelungene Marx-Karikatur. Um den Bahnbrecher der proletarischen Weltanschauung etwas kleiner und als Zweifler am eigenen Denken erscheinen zu lassen, legte man ihm die Worte in den Mund: „War doch nur so ’ne Idee von mir“. Dabei vergaß man allerdings die Erkenntnis des alten Mohr, daß die Idee zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift.

Ungeachtet der bisher schwersten Niederlage, die der Sozialismus und die revolutionäre Arbeiterbewegung bisher in Europa erlitten haben, dürfte wohl kaum die Tatsache in Abrede zu stellen sein, daß keine andere Idee so die Köpfe ausgebeuteter und unterdrückter, sich aber auch zu Kampf und Widerstand erhebender „Massen“ ergriffen und erhellt hat wie der Marxismus.

Übertragen wir Großes auf Kleineres: Als wir einst in einer Hellersdorfer Wohnung auf den Gedanken kamen, uns dem Ansturm des in materieller Hinsicht tausendfach überlegenen Gegners – eines Siegers auf Zeit, der sich als ewiger Gewinner wähnt – mit ideologischen Waffen entgegenzustellen, war das am Anfang ja auch „nur so ’ne Idee“. Inzwischen ist aus dem kleinen papiernen Füchslein, dem wir nicht ohne Hintergedanken die Farbe Rot zuordneten, die auflagenstärkste marxistische Monatsschrift in deutscher Sprache geworden. Die an ihr Mitwirkenden heben keineswegs nur auf organisierte Kommunisten und Sozialisten ab, sondern pflügen und bestellen längst auch weitere Felder. Allein die Printausgabe, die einst mit 200 Exemplaren an den Start ging, erreicht heute Zehntausende Leser im In- und Ausland. Noch weitaus größer ist der Kreis jener an unserer Zeitschrift Interessierten, welche über das Internet Zugang zu ihr finden.

Der „RotFuchs“ bietet inzwischen eine breite Palette anspruchsvoller und unterhaltsamer Themen. In mancher Hinsicht hat er den Atem so beliebter DDR-Publikationen wie „horizont“ und „Weltbühne“ in sich aufgenommen, dazu einen gehörigen Schuß theoretischer Verdichtung und aktueller Information. Wir ziehen auch Texte aus „anderer Herren Länder“ zu Rate – genauer gesagt jene, welche den Herren dieser Länder einheizen. Gemeint sind Weggefährten wie die faszinierende Wochenzeitung „Solidaire“ der Partei der Arbeit Belgiens (PTB), die wie kaum eine andere marxistische Formation in Europa den Nerv der Zeit zu treffen vermag. Hier finden wir eine beeindruckende Kombination von Frische und Modernität, die keineswegs die Normen der Anpassung an einen ominösen „Zeitgeist“ erfüllt. Ist es da Zufall, daß die von Peter Mertens geführte PTB heute die am schnellsten wachsende kommunistische Partei Europas ist, die sich der gleichfalls standhaltenden und ihren Einfluß abermals erweiternden portugiesischen PCP besonders verbunden fühlt?

Wie man sieht, ist unsere Bewegung – und damit meinen wir abermals mehr als ein Parteibuch besitzende Kommunisten und Sozialisten – durchaus nicht am Ende ihres Lateins. Im politischen Kampf entscheiden nicht zuletzt auch Ausdauer und langer Atem über Erfolg oder Mißerfolg. Als der legendäre Reporter Egon Erwin Kisch, der einst in Prag das nur durch ihn gestaltete Blatt „Die Zeitung“ herausbrachte, nach einem Jahr seine Bemühungen abbrach, war diese grandiose Investition in den Sand gesetzt.

Dabei kann auch in kurzen Zeitabschnitten, die manche als einen „Steinwurf der Geschichte“ betrachten, oft mehr geschehen als in Jahrhunderten. Ja, sogar Weltveränderndes. Man denke nur an den Roten Oktober 1917.

Bisweilen frage ich mich: Was sind 12 oder 14 Jahre angesichts heutiger Schnellebigkeit? Doch dann kommt mir die bloß 14jährige Dauer des Bestehens der Weimarer Republik in den Sinn. War die kurze Periode zwischen 1919 und dem 30. Januar 1933 nicht eines der ereignisreichsten und folgenschwersten Kapitel in der Chronik der Deutschen? Oder ziehen wir die Schreckensbilanz aus der wenig mehr als zwölfjährigen Existenz des faschistischen 3. Reiches, als dessen Rechtsnachfolgerin sich bekanntlich die Bundesrepublik Deutschland empfindet, in Betracht. Im Zeitraum von 1933 bis in das Frühjahr 1945 wurde im Auftrag der Hitler finanzierenden und dirigierenden deutschen Monopolherren der 2. Weltkrieg entfesselt, ganz Europa in Brand gesteckt und ein Blutbad ohnegleichen angerichtet. Die unheilvollen 12 Jahre Faschismus reichten aus, um das schmachvollste Kapitel in der Geschichte der Nation von Müntzer und Luther, Goethe und Schiller, Heine und Hölderlin, Marx und Engels zu schreiben.

Doch was hat all das mit dem „RotFuchs“ zu tun? Selbst wenn die Dimensionen ganz andere sind, gilt es auch hier die Wirkung in einer kurzen Periode zu prüfen. Der RF ist inmitten einer durch Niederlage und Konterrevolution geprägten Situation entstanden. Er hat nicht nur an Bord Gebliebenen, sondern auch vielen, denen die rauchenden Trümmer des in Europa zu Fall gebrachten Sozialismus vorübergehend den klaren Blick trübten oder den Mut raubten, wieder eine politische Heimat gegeben. Das ist nicht wenig. Entscheidend war Prinzipienfestigkeit bei gleichzeitigem Verzicht auf jegliche Prinzipienreiterei, die Vermeidung sektiererischer Enge wie opportunistischer „Breite“. Dabei blieben wir auf dem Teppich und wurden nicht zu Gefangenen der schönen Illusion, man könne nach eigenem Wunsch und Willen über Nacht eine funkelnagelneue und lupenreine revolutionäre Vorhut, gar mit Masseneinfluß, aus dem Boden stampfen. Weder katzbuckeln vor anderen noch der durch Lenin gegeißelte „kommunistische Hochmut“ bestimmten unser Handeln, wobei wir uns stets dessen bewußt waren, daß politische Ernsthaftigkeit nicht zuletzt am Verhalten zu eigenen Fehlern gemessen wird.

Bei all dem sollte man den historischen Optimismus bewahren: Bisweilen schlägt der Wind schneller als erwartet um. Auch wenn sich die Geschichte niemals auf dieselbe Weise wiederholt, sei an das wechselvolle Schicksal der alten KPD erinnert. Nach den erlittenen Niederlagen besaß sie 1925 nur begrenzten Einfluß – fünf Jahre später war sie die stärkste kommunistische Partei aller kapitalistischen Länder.

Übrigens: Der „RotFuchs“ ist mit dieser Ausgabe 16 Jahre alt geworden.