RotFuchs 206 – März 2015

Eine Reise nach Hameln

Beate Bölsche

Beim Abschied fiel der Blick meiner Tochter auf eine Schürze am Haken. „Die kenn ich ja noch aus meiner Kinderzeit“, sagte sie, und ein Vorwurf schwang mit. Wir hatten über das Wegwerfen oder Aufheben alten Krempels gesprochen. „Ja, ein Relikt aus DDR-Zeiten, ich habe sie mir vom Leipziger Versandhaus schicken lassen.“ Ungläubiges Staunen: ein Versandhaus in Leipzig, in der DDR?

Anfang 1990 gehörte ich als Vertreterin des Brandenburger Kulturbundes zu einer Delegation, die nach Hameln fuhr. Wir hatten gerade einen Betrieb in Laatzen besichtigt, wo wir mit der Wirtschaft des Einzelbauern bekanntgemacht worden waren. Nun saßen wir, bunt gemischt, in größerer Runde am Kamin und stellten uns sowie unsere jeweiligen Tätigkeiten einander vor. Beim Rundgang auf dem gepflasterten Hof fragte ich mich, wo dort ein Huhn scharren oder eine Katze ihre Mulde graben sollte.

Eine völlig andere Art von Landwirtschaft tat sich mir auf: Der Laatzener fütterte seine Kühe vom Schreibtisch aus – per Computer. Er baute nur Getreide für sie an, andere Kulturen gab es nicht.

Doch zurück zu unserer wechselseitigen Vorstellung. Als die Reihe an mir war, berichtete ich vom Wirken der 40 Fachgruppen des Kulturbundes in Brandenburg und zählte einige von ihnen auf. „Sind die etwa alle im Kulturbund? Ist das nur ein Verein? Wir haben auch Philatelisten, Münzsammler oder Ornithologen. Aber alle sind für sich.“

Vom interdisziplinären Zusammenwirken konnte ich sie vielleicht noch überzeugen. Doch die Tatsache, daß man mit einem sehr niedrigen Beitrag in mehreren Fachgruppen mitmachen durfte, stieß auf Unverständnis.

Natürlich kam ich auch auf die ehrenamtliche Tätigkeit als Basis der Breitenwirkung des Kulturbundes zu sprechen und erwähnte, daß er in der Volkskammer etliche Abgeordnete habe. Auch das verblüffte.

25 Jahre später kann ich mir lebhaft vorstellen, wie unverständlich meine Darstellung im Westen geklungen haben muß. Inzwischen weiß ich nämlich, was „Vereinsmeierei“ ist.

Schon vor der „Wiedervereinigung“ konnte ich während einiger Jahre meine betagte Mutter in Hamburg zu deren Geburtstagen besuchen. Damals war ich bestürzt, daß die Gäste bereits am Nachmittag aufbrachen. Eine Dame hatte für alle Fälle eine kleine Alarmsirene bei sich, eine andere verwies auf ihre Spraydose. Aus Angst vor Raubüberfällen wollten sie noch vor 18 Uhr zu Hause sein.

In meinen Hamburger Gesprächen erwähnte ich auch, daß im Brandenburgischen viele Familien einen Kleingarten besäßen, dazu einen Trabant und in unserer Havelstadt oft auch ein Boot. Mir wurde heftig widersprochen. Es gab sogar jemand, der mich als Lügnerin bezeichnete. Das gäbe es nicht, kein DDR-Bürger könne sich solches leisten! Verächtlich nannte man mich eine „rote Agitatorin“.

Im Zug nach Hamburg entspann sich ein Gespräch mit einer Dame. Bei ihr stieß ich – im Unterschied zu dem zuvor Geschilderten – auf lebhaftes Interesse. Kurz vor dem Aussteigen sagte sie zu mir: „Ich habe bisher noch niemand aus der DDR getroffen, der so stolz und selbstbewußt über diesen Staat gesprochen hat.“