RotFuchs 222 – Juli 2016

Eine Reise nach Vietnam

Dr. Karl-Heinz Otto

Ho Chi Minh gehörte im vorigen Jahrhundert neben Che zu den Ikonen einer ganzen Jugendgeneration. Auch ich verehrte diesen Mann, der sein geschundenes Volk von der französischen Kolonialknute befreit und sich an die Spitze des Widerstandes gegen den amerikanischen Aggressor gestellt hatte. Nun, da ich die magische Siebzig überschritt, wäre mir nicht im Traum eingefallen, mich noch einmal meiner Jugendikone zuzuwenden, wenn … ja, wenn mich eines Abends nicht mein Freund Micha angerufen hätte. „Was hältst du davon, mit mir nach Vietnam zu fliegen? Ich bin neugierig, was aus dem Land und seinen Menschen geworden ist. Und so ganz nebenbei könnten wir überprüfen, ob unsere üppigen Soli-Spenden geholfen haben.“ Gut, dachte ich, viel davon wird nicht übrig sein – nach diesem grausamen Krieg, der drei Millionen Vietnamesen das Leben gekostet hat. Michas Vorschlag reizte mich dennoch. Vielleicht hatten Ho Chi Minhs Enkel ihre Chance besser genutzt als wir die unsere?

Ho-Chi-Minh-Stadt 2015

Ho-Chi-Minh-Stadt 2015

Als ich das Einreisevisum las, schlug mein Puls schneller. Wir brachen tatsächlich in die Sozialistische Republik Vietnam auf.

Nach 17 000 Flugkilometern landeten wir in Vietnams Hauptstadt Hanoi. Die Eintrittsformulare fragten in Englisch. Während ich grübelte, erlöste mich ein Bayer. Stolz verkündete er, in Hanoi einen Autosalon für Luxusschlitten zu besitzen, in dem der Porsche der Trabbi sei. Das fing ja verheißungsvoll an!

Am Kofferkarussell suchte ein Page des Horison-Hotels mit einem Schild nach Mister Otto und Mister Brix. Wieder dieses Englisch, das uns bis zum Abflug quälen sollte. Der Werbeprospekt unseres 5-Sterne-Hotels klärte uns über sein englisches Management auf. Na prima, nun konnte nichts mehr schiefgehen. Das Nobelpalais ließ keine Wünsche offen. Hinter lautlos schließenden Glastüren empfing uns eine klimatisierte sterile Welt. Die tropische Hitze – Ende Februar noch 30 Grad – und der laute Straßenlärm blieben draußen. Im Foyer sammelte sich unsere TUI-Gruppe. Zufällig waren sieben aus West- und sieben aus Ostdeutschland eingeflogen. Der vietnamesische Reiseleiter begrüßte uns in lupenreinem Sächsisch, das er während seines Maschinenbaustudiums in Gorlmorxstodt erlernt hatte. Man bedauerte, daß es weder Gorlmorxstodt noch seinen Praktikantenbetrieb mehr gab. Spitzbübisch lächelnd erinnerte er an einen gewissen Hager, der sich während Mans Studienzeit hartnäckig geweigert hatte, seine Wohnung neu zu tapezieren – im Gegensatz zu den Vietnamesen, die ihre schon 1986 umzugestalten begannen, unmittelbar nachdem ihnen der Kremlchef freie Fahrt zum Neugestalten ihrer ureigenen Landesgeschicke gegeben hatte. Jedenfalls blühten die Industrien von Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt und auch die Landwirtschaft seitdem auf – mit Nokia, Philips, Siemens und …

Erst einmal schauten wir uns Hanoi an. Eine Rikschatour durch die Altstadt eröffnete den Kennenlernreigen. Mein Instinkt wehrte sich, das historische Relikt wie einer der französischen Kolonialherren zu besteigen, die nach ihrer schmachvollen Niederlage bei Dien Bien Phu endgültig aus dem Land am südchinesischen Meer vertrieben worden waren. Doch Man, unser ortskundiger Gorlmorxstädter, beruhigte mich. Die Rikscha sei längst zur touristischen Attraktion avanciert. Unsere Rikschakolonne quälte sich an Tausenden Mopeds vorbei, gegen die selbst die wenigen Luxusschlitten aus dem blauweißen Salon unseres Flughafen-Dolmetschers chancenlos blieben.

„Die Vietnamesen sind wie Kinder, sie glauben alles und essen alles“, lautete einer der Lieblingssätze unseres Reiseleiters. „Sie mischen die Lehren von Konfuzius, Laotse und Buddha zu ihrer praktikablen Lebensphilosophie.“

„Auch unser erster Präsident, den die Fischer und Reisbauern liebevoll Bac Ho (Onkel Ho) nennen, war Anhänger der asiatischen Geistestitanen Buddha und Konfuzius“, erklärte Man, als wir neben der Einsäulenpagode, einem buddhistischen Heiligtum von 1049, einen orange blühenden Bodhibaum bewunderten. Man erzählte manche Geschichte über den noch immer von der Mehrzahl der Vietnamesen verehrten Onkel Ho. Dessen selbstgewählter Name Ho Chi Minh bedeutet Der nach Erleuchtung Strebende. Ein wahrlich ungewöhnliches Bekenntnis eines Kommunisten – bedeutet doch Buddha nichts anderes als Der Erleuchtete. Ho Chi Minh gehörte als Berufsrevolutionär lange zu den Gejagten und mußte während seiner Emigrationsjahre oft seinen Namen ändern. Ho Chi Minh war sein fünfzigster und letzter Name.

Als Ho Chi Minh 1954 nach dem legendären Sieg über die Franzosen bei Dien Bien Phu als Präsident die Demokratische Republik Vietnam ausrief, sollte er die Residenz des Generalgouverneurs von Indochina beziehen. Onkel Ho war viel zu bescheiden, schenkte den Palast seinem Volke und ließ sich neben einem Karpfenteich eine Pfahlhütte bauen, in der er bis zu seinem Tode 1969 wie ein einfacher Fischer lebte.

Während wir uns unter die Besucher des Ho-Chi-Minh-Mausoleums mischten, baten wir Man, uns den Widerspruch zwischen der bombastischen Grablege und der bescheidenen Wohnhütte Bac Hos zu erklären. „Onkel Ho lehnte zeit seines Lebens Personenkult und Privilegien ab. Testamentarisch verfügte er: Teilt meine Asche in 3 Teile und bewahrt sie in 3 Keramikurnen auf, dem Sinnbild für den Norden, das Zentrum und den Süden.

Von Hanoi führte unsere Reise über 2000 Kilometer bis ins Mekongdelta. Wir erlebten die Kaiserstadt Hui, die denkmalgeschützte Stadt Hoi An, die 2000jährige Chamkultur mit der hinduistischen Tempelstadt My Son – ein zweites Angkor. Am tiefsten beeindruckten uns jedoch die Menschen, die wir durch unseren Begleiter Man kennenlernen durften. Ganz allmählich begannen wir zu begreifen, weshalb Bac Ho in Vietnam wie ein Buddha verehrt wird. Keine Stadt ohne seine Statue, kein Hausaltar und keine Pagode ohne sein Bild.

Doch auch das sei erwähnt: Obwohl es in historisch kurzer Zeit gelang, die massenhafte Armut zu besiegen, war allenthalben nicht zu übersehen, daß die Schere zwischen den einfachen Menschen und einigen Superreichen immer weiter auseinanderklafft. Neulich berichteten die Medien vom ersten vietnamesischen Dollar-Milliardär. Nicht wenige Millionäre sind Mitglied der Kommunistischen Partei, die Initiative fördert und statt jede Reißzwecke zu planen sich nur noch um die strategischen Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung kümmert. Wo diese Entwicklung wohl münden wird? Dem nachzugehen ist schon wieder eine andere Geschichte.

Und was ist aus den Spenden – immerhin fünf Prozent des Gehaltes – geworden, die ja den Anlaß für die Reise gegeben haben? In Cu Chi sind wir fündig geworden. Dort, wo die vietnamesischen Kämpfer aus einem ausgeklügelten Tunnelsystem heraus die Amerikaner erfolgreich und ebenso listenreich bekämpft hatten, liefern heute Kautschukbäume devisenträchtiges Exportgut. Die Fachleute der Plantage sind am Tropeninstitut der DDR ausgebildet und die Setzlinge von unseren Spenden angeschafft worden. Und vielleicht waren auch unsere Spenden ein kleiner Beitrag zum Sieg der vietnamesischen Volksarmee über die amerikanischen Aggressoren.