RotFuchs 228 – Januar 2017

Martin Niemöller – U-Boot-Offizier, Widerstandskämpfer,
Gegner der Atomrüstung

Eine Welt oder keine Welt

Prof. Dr. Horst Schneider

Martin Niemöller auf einer Friedensmanifestation in Krefeld (1960)

Ziemt es sich, im Lutherjahr, in dem Kirche und Staat jeden Tag mit „events“ den Reformator rühmen, an Martin Niemöller zu erinnern? Reicht der Hinweis auf den 125. Jahrestag seiner Geburt am 14. Januar 1882 und der Verweis auf den Vornamen Martin, den sein Vater als treuer Lutheraner ausgewählt hatte? Es gibt gewichtigere Gründe, vor allem aktuelle Erfordernisse, die uns dazu bewegen, sein Vermächtnis der Vergessenheit zu entreißen.

Als Martin Niemöller 1910 das Abitur mit glänzendem Zeugnis abgelegt hatte, zuckten die Blitze des bevorstehenden Krieges am politischen Horizont. Der Pfarrerssohn wählte die Offizierslaufbahn bei der Kriegsmarine. Das war seit Luthers Zeiten nicht ungewöhnlich in Pfarrersfamilien. Die Lutherkirche hatte die Kriege der Landesfürsten gesegnet. Wilhelm II. war Oberhaupt der Kirche. „Gott mit uns“ war die Losung, die die Kirche lieferte. Es wurde um den „Platz an der Sonne“ gekämpft, und Martin Niemöller war dabei. Er war „als Seeoffizier über alle Maßen glücklich gewesen“, schrieb er später.

Niemöller betrachtete die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg auch als seine persönliche Katastrophe. Er glaubte an die Dolchstoßlegende. Schließlich entschied er sich für das Studium der Theologie, das er im Januar 1920 begann. Aber schon im März 1920 unterbrach er sein Studium, um als Bataillonskommandeur eines Freikorps gegen die Rote Ruhrarmee zu kämpfen. Nach seinem Studium wurde Niemöller zunächst in der „Inneren Mission“ beschäftigt. Am 1. Juli 1931 bekam er eine Pfarrstelle in Berlin-Dahlem. Als Hitler Reichskanzler wurde und er von Dibelius auf dem Staatsakt in Potsdam im März 1933 gesegnet worden war, entbrannte in der protestantischen Kirche der Streit um die Frage, wie sie sich zur Politik der Hitler-Regierung verhalten solle. Die „Deutschen Christen“ unterstützten in der Tradition Martin Luthers die „Obrigkeit“. Sie forderten eine „Reichskirche“, die Einführung des „Führerprinzips“ in der Kirchenhierarchie und den Ausschluß „Fremdrassiger“, der Juden. Luther hatte die Saat für den Judenhaß gelegt.

Martin Niemöller trat den „Deutschen Christen“ entgegen und gründete mit Gleichgesinnten Ende 1933 den Pfarrernotbund, dem bis Weihnachten 7000 evangelische Pfarrer (40 % der Gesamtheit) beitraten. Dieser Notbund verwandelte sich im Frühjahr 1934 in die „Bekennende Kirche“, die Hitler am 4. Juni 1934 eine Protestschrift überreichte. In ihr wurden die faschistische Politik und Ideologie verurteilt. Niemöller wirkte im Geiste der Schrift. Hitler ließ ihn am 1. Juli 1937 verhaften. Über das Urteil tobte er, denn der widerständige Pastor wurde „nur“ zu sieben Monaten Festungshaft und 2000 Mark Geldstrafe verurteilt. Die Haftstrafe galt als verbüßt. Niemöller kam trotzdem nicht frei. Hitler ließ ihn als „persönlichen“ Gefangenen zuerst im Konzentrationslager Sachsenhausen, ab 1. Juli 1941 in Dachau einkerkern. Der „bekennende“ Pastor überlebte und wurde zur Symbolfigur des protestantischen Widerstands gegen Hitler.

Das schuf ihm eine Sonderstellung in der Kirche. Zudem wirkten seine Erfahrungen aus der Haftzeit. Im Herbst 1947 wurde Niemöller in Hessen-Nassau zum Kirchenpräsidenten gewählt. Gleichzeitig wirkte er als stellvertretender Vorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und Leiter des kirchlichen Außenamtes. Er war der erste Deutsche, der mit seiner Reputation in England, Schottland, den USA, Schweden und Norwegen öffentlich auftreten durfte. 1952 knüpfte er auch in Moskau Kontakte zu orthodoxen Kirchenführern. Das brachte ihm den grimmigen Zorn vieler Glaubensbrüder ein, die den Weg des kalten Krieges und der Remilitarisierung mitgingen und segneten.

In den Nachkriegsjahren entwickelte sich der hessische Kirchenpräsident zu einem scharfen Kritiker der Spaltungs- und Aufrüstungspolitik Adenauers: „Die jetzige Staatsform wurde in Rom gezeugt und in Washington verkündet“, urteilte er. Er trat gegen die Remilitarisierung auf und wollte die Verständigung mit der Sowjetunion. Die BRD müsse sich von der Revanchepolitik lösen und ihre Souveränität gegenüber den USA durchsetzen. Er mußte sich als „Vaterlandsverräter“ und „Agent Moskaus“ beschimpfen lassen.

Niemöller wurde 1954 Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Zu dieser Zeit war er in der EKD isoliert und kaltgestellt. Das Wort führten Theologen wie Dibelius und Asmussen, die auch den Seelsorgevertrag durchsetzten, den Adenauer und Dibelius am 22. Februar 1957 unterzeichneten. Das Bündnis von Thron und Altar war in neuer Form wiederhergestellt.

Seit Mitte der 50er Jahre wurde Niemöller zum nimmermüden Mahner von „Gottes Gebot im Atomzeitalter“. Adenauer und Strauß strebten die atomare Bewaffnung der Bundeswehr an.

Diese Pläne wurden zur größten Gefahr für den Frieden in Europa. Nach einem Gespräch mit den Atomphysikern Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn am 6. Juni 1954 – alle drei waren 1957 Unterzeichner des berühmten „Göttinger Appells“ – wurde Niemöller zum entschiedenen Vorkämpfer gegen die atomare Rüstung. Niemöller erklärte: „Seit 1954 können Menschen das Leben auf der Erdoberfläche umbringen. Das heißt, seit 1954 können die Menschen die Erde so machen, wie es in Moses, Vers 1, geschrieben steht: ,Und die Erde war wüst und leer.‘ “ Diese Gefahr ist seit den 50er Jahren enorm gewachsen. Die Zahl und die Sprengkraft der Atomwaffen sind noch größer geworden. Die Zahl der Atommächte hat sich vergrößert. Auch auf deutschem Boden sind Atomwaffen stationiert.

Das alles macht Niemöllers Vermächtnis aktuell wie nie. Auch die Lage in seiner Kirche hat sich verändert. Damals gab es einige Theologen wie Hans Asmussen, die die Bombe als „Strafrute Gottes“ betrachteten. Es kam nicht zu einer Ächtung der Atomwaffen durch die Lutherkirche.

Und die Rufe der Schorlemmer, Eppelmann und Gauck, Frieden ohne Waffen zu schaffen, sind seit der „friedlichen Revolution“ verstummt. Daß die „events“ im Lutherjahr etwas ändern, zeichnet sich nicht ab. Gerade deshalb ist das Wirken des Lenin-Friedenspreisträgers Martin Niemöller Beispiel und Ermutigung.

Er erklärte, „daß heute die Ausbildung zum Soldaten … die Hohe Schule für Kriegsverbrecher“ ist. Strauß stellte einen Strafantrag wegen „Beleidigung der Bundeswehr“, was Niemöller nicht abschreckte. Anfang der achtziger Jahre war er mit General Bastian einer der Initiatoren des „Krefelder Appells“, der sich zu einer machtvollen Kraft entwickelte. Der Schatz an damals gemachten Erfahrungen ist für die Gegenwart zu erschließen.

Ich bin dankbar, daß ich von 1981 bis 1984 jeweils in einer Oktoberwoche auf Einladung der „Krefelder“ die Friedenspolitik der DDR vorstellen durfte, zuerst in Karlsruhe, zuletzt in München. Niemöller ehren heißt, seinen Kampf bis zum Erfolg fortzusetzen – damit die Menschheit noch rechtzeitig von der Geißel des Krieges befreit wird.

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Martin Niemöller