RotFuchs 191 – Dezember 2013

Beschämendes aus der Chronik der SPD
(Teil 2 und Schluß)

„Einer muß der Bluthund sein“

Günter Bartsch

Die Rolle rechter SPD-Führer bei der Niederschlagung der revolutionären Bewegungen Ende 1918/Anfang 1919 sparte Sigmar Gabriel in seiner Festrede zum 150. Jahrestag des Lassalleschen ADAV, den er mit der SPD gleichsetzte, wohlweislich aus.

Gustav Noske schrieb in seinem Buch „Von Kiel bis Kapp“: „Die große deutsche Sozialdemokratische Partei, an deren Ausdehnung ich an meinem jeweiligen Platze 30 Jahre lang nach Kräften mitgearbeitet hatte, war im Kriege zerrissen worden. Meinungsverschiedenheiten über die von der Partei zu verfolgende Kriegspolitik waren der Grund zur Spaltung gewesen.“

Von der SPD trennten sich u. a. die USPD und der Spartakusbund, aus dem zur Jahreswende 1918/19 die von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründete KPD hervorging.

Bei Noske las sich das so: „Eine gewaltsame Revolution hatte die deutsche Sozialdemokratie stets abgelehnt … Der Gedanke an Gewaltanwendung wurde zurückgewiesen und nur die Revolutionierung der Köpfe erstrebt, um politische und wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.“

Die rechten SPD-Führer lehnten eine sozialistische Revolution prinzipiell ab und verbündeten sich mit der kaiserlich-preußischen Soldateska, um revolutionäre Vorstöße zu verhindern. Politisch vertraten sie die reformistische These, daß die kapitalistische Gesellschaft nicht überwunden, sondern statt dessen verbessert werden müsse und daß ein – wie auch immer gearteter – Sozialismus allein auf parlamentarischem Wege angestrebt werden solle. Diesem Konzept sind sie bis heute treu geblieben.

Als im November 1918 in Kiel die Matrosen streikten, wurde Noske mit dem Auftrag dorthin entsandt, „Ordnung zu schaffen“ und eine revolutionäre Erhebung von Arbeitern und Matrosen zu verhindern.

Er selbst schrieb dazu: „Mir wurde bekannt, daß in Kiel revolutionäre Bewegungen vor sich gehen würden. Und weil es in anderen Städten zu solchen gekommen war, in München die Republik ausgerufen wurde, und sich auch in Hamburg die Matrosen und die Arbeiter in den Besitz der öffentlichen Macht gebracht hatten, war uns Sozialdemokraten klar, daß nun die revolutionäre Bewegung unaufhaltsam vor sich gehen würde. Da war ein Lavieren nicht mehr am Platze, sondern es hieß, die Zügel fest in die Hand zu nehmen.“ Und: „Der Ausrufung der Kieler Provinz widersetzte ich mich, verabredet wurde mit den Soldatenräten, daß ich in aller Form als Gouverneur die Leitung aller militärischen Geschäfte übernahm.“

Welchen „Ruhm“ Noske mit seiner Tätigkeit in Kiel errang, schrieb ein von ihm zitierter Major am 14. November 1918: „Als alter Militär erlaube ich mir, Euer Hochwohlgeboren meine ganz besondere Anerkennung und Hochachtung für die ganz ungewöhnlich umsichtige und hinreißende Art auszusprechen, mit der Euer Hochwohlgeboren Ruhe und Ordnung in Kiel und Umgebung hergestellt haben, die so gründlich und vollständig wohl kaum anderen gelungen wäre.“ Noske war stolz auf solche Huldigungen.

Nachdem er in Kiel seine konterrevolutionäre „Pflicht“ erfüllt hatte, wurde er nach Berlin gerufen, um auch dort „Ordnung zu schaffen“. Im Dezember 1918 gehörte er der Ebert-Regierung als Verantwortlicher für sämtliche Marine- und Heeresangelegenheiten an.

Die Gründung der KPD rief ihn auf den Plan. In Berlin engagierten sich Arbeiter und desertierte Soldaten der kaiserlichen Armee für die proletarische Revolution. O-Ton Noske: „Namhafte Sozialdemokraten kritisierten, daß viel zu lange gewartet worden sei und wir gezögert hätten, dem Treiben der Liebknecht und Genossen entschlossen Widerstand zu leisten. … Meiner Meinung, daß nunmehr versucht werden muß, mit Waffengewalt Ordnung zu schaffen, wurde nicht widersprochen. In ziemlicher Aufregung stand man im Arbeitszimmer Eberts umher. Ich forderte, daß ein Entschluß gefaßt werde. Darauf sagte jemand: ,Dann mach du doch die Sache!‘ Worauf ich kurz entschlossen erwiderte: ,Meinetwegen! Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!‘ … Ein Beschluß wurde mündlich formuliert, mit dem mir weitgehendste Vollmachten übertragen wurden. Meine Ernennung zum Oberbefehlshaber war vollzogen. Ich erklärte: ,Verlaßt euch darauf, ich bringe euch Berlin in Ordnung.‘“

Gemeinsam mit Militärs begab sich Noske in die Hauptstadt und ließ auf jene Arbeiter, die sich zu Liebknecht und Luxemburg bekannten, schießen. Er trug letztendlich auch die Verantwortung für die Ermordung der beiden KPD-Gründer.

Zynisch schilderte Noske das Geschehen so: „Wie ein Ruheloser war Liebknecht ein paar Wochen lang in der Stadt herumgerast. Er und Frau Luxemburg waren Hauptschuldige daran, daß die unblutig begonnene Umwälzung zum Bürgerkrieg mit allen seinen Scheußlichkeiten ausartete … Wenn von einem Mord an Liebknecht gesprochen wird, für den keineswegs ein Beweis erbracht worden ist, so lassen sich aber in noch höherem Maße als Erklärung maßlose Empörung und Hypnose anführen.“

Das milde Urteil im Prozeß gegen an der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs beteiligte Militärs habe er „als Oberbefehlshaber bestätigt“, nachdem ihm versichert worden sei, „daß bei einer Wiederholung der Beweisaufnahme eine härtere Strafe für keinen der Angeklagten zu erwarten wäre“.

Wie wir aus dem weiteren Verlauf der Ereignisse wissen, verweigerten rechte SPD-Führer während des kurzen Bestehens der Weimarer Republik jegliche parlamentarische und außerparlamentarische Zusammenarbeit mit der KPD und begünstigten so den steilen Aufstieg der Hitlerfaschisten, deren Machtantritt bitterste Konsequenzen für beide Arbeiterparteien hatte.

Nach dem 2. Weltkrieg erklärte der westdeutsche SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher den Sozialismus „zur Tagesaufgabe“, konzentrierte sich dann aber auf die konsequente Stärkung des kapitalistischen Systems, wobei sich die als Volkspartei firmierende Sozialdemokratie ohne Bedenken in Regierungen des deutschen Imperialismus einzubringen bemüht war, ohne die Allmacht des Kapitals in irgendeiner Weise anzutasten.

Ein folgenschwerer Schlag gegen die Selbständigkeit und Aktionsfähigkeit der SPD war die Annahme des Godesberger Programms auf dem Parteitag im November 1959. Es begründete die Integration dieser einstigen Arbeiterpartei in den „modernen Staat“. Traditionell sozialdemokratische Forderungen, die 1925 im Heidelberger SPD-Programm noch enthalten waren, wurden damit endgültig über Bord geworfen.