RotFuchs 193 – Februar 2014

Statt verwaschener Formulierungen Klartext reden!

Erinnern an den Klassenfeind

Thomas Kuhlbrodt

Für Interessierte, die sich der Mühe unterziehen, dem Grundsatzprogramm der „Linken“ nahekommen zu wollen, bleiben am Ende der Lektüre mehr Fragen als Antworten. Bereits das Diagonal-Lesen des Dokuments muß bei Marxisten und standhaft gebliebenen Sozialisten erhebliche Bedenken auslösen, dient doch das Mega-Papier kaum einer Kursnahme auf die Umwandlung der Gesellschaft in absehbarer Zeit.

Leider übernehmen vormalige Leisetreter und heutige Neo-Lobbyisten immer mehr das Ruder. Sie ziehen mit oftmals flotter, ja sogar unverschämter Zunge über die „böse DDR“ her, ohne dabei notwendige Differenzierungen vorzunehmen. „Die Linke“ – zumindest in Teilen – zieht als Programmfazit das wohl endgültige Verlassen elementarer und wissenschaftlich fundierter Positionen des Marxismus-Leninismus. Wie manche, die sich sonst vor SED und DDR wie der Teufel vor dem Weihwasser scheuen, kopieren sie dennoch recht genüßlich die Gabe gewisser Vorläufer, tatsächlich prägnante Aussagen des Programms in leere Worthülsen zu verwandeln. Wie in der DDR frage ich mich erneut, ob die Verfasser tatsächlich von solchem Sendungsbewußtsein erfüllt sind, sie lieferten einen wirksamen Beitrag zu fortschrittlichen Veränderungen der Gesellschaft. Lobenswerte Ausnahmen bilden dabei zweifellos die Stellung zu Kriegen und gewisse leider recht allgemein gehaltene Formulierungen zu sozialer Gerechtigkeit und Solidarität.

Ich möchte hinzufügen, daß etliche Abgeordnete der PDL in den Parlamenten aller Ebenen eine gute, oftmals sogar hervorragende Arbeit leisten, aber immer häufiger vor Fragen gestellt werden, die sich auf die praktische Realisierung einzelner Punkte des Grundsatzprogramms beziehen. Dieses Papier deutet leider nur visionär in eine ferne und undefinierbare Zukunft.

Eine seltene Chance, an weite Kreise der Bevölkerung heranzukommen, hätte wohl die Initiative zu einer bundesweiten Unterschriftenaktion für längst überfällige Wandlungen im Bankwesen geboten. Doch die PDL ließ nur unmaßgeblich Zorn und Protest über die Bankenmafia verlauten. Allein der Verweis darauf, man verkörpere in dieser Sache die „Guten“ und „Gerechten“, reicht einfach nicht aus.

Bestimmte Vorgänge haften demgegenüber in meinem Gedächtnis. Wie Gabi Zimmer, Roland Claus und Gregor Gysi bewiesen haben, müssen Linke nicht automatisch immer Standpunkte vertreten und Haltungen an den Tag legen, die tatsächlich links sind. Die eine stellt sich in Brüssel außenpolitisch ein Armutszeugnis aus, wird aber erneut als Top-Kandidatin ins Spiel gebracht, der andere war sich nicht zu schade, bei US-Präsident George W. Bush sein Bedauern über das korrekte Verhalten den Krieg verurteilender Abgeordneter der eigenen Partei zu bekunden, und der Dritte im Bunde will die DDR auf keinen Fall wiederhaben. Er plädiert seit dem Dezember 1989 für „dritte Wege“. So etwas kann man nicht vergessen.

„Die Linke“ vermag landesweit nur Profil zu gewinnen, wenn sie sich an die Spitze wirklich greifender Initiativen stellt. Ich meine dabei z. B. eine Unterschriftenaktion, die es der BRD-Bevölkerung ermöglichen würde, fortan durch Volksentscheide über legislative Vorhaben direkt zu befinden. Oder wenn sie eine Initiative einleiten würde, die darauf abzielt, das Leben aller bereits kurz- oder mittelfristig etwas erträglicher zu gestalten und die vielgepriesene soziale Gerechtigkeit nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Dadurch würde die PDL als praktischer Sachwalter einer solidarischen Gesellschaftsidee wirklich wahrgenommen, so daß sich andere Parteien im Wahlkampf nicht mit Forderungen „Made in PDS/PDL“ schmücken könnten, deren ursprüngliche Herkunft viele Bundesbürger inzwischen vergessen haben. Nur durch den erneuten Zugriff auf solche eigenen Konzepte bestünde aus meiner Sicht die Möglichkeit, dem Erfurter Parteiprogramm wirkliches Leben einzuhauchen.

Fundamentale Fragen müssen jetzt, hier, europa- und weltweit gestellt und beantwortet werden: Wie wirkt sich die forcierte Automation in der Produktion des von Marx im „Kapital“ nachgewiesenen Mehrwerts aus? Gibt es einen Gegenpol, um dem Börsenhandel mit de facto nicht existentem Geld Paroli zu bieten? Wie kann der Teufelskreis, der eine ständige Überproduktion verlangt, obwohl der Bedarf längst mehrfach gedeckt ist, zugunsten einer gerechten Verteilung und nachhaltigen Rohstoffverwendung unterbrochen werden? Wieso zahlt die Gesellschaft die Zeche für brachiale Stellenstreichungen bei Firmen, indem sie die Arbeitslosigkeit durch staatliche Kompensation finanziert, zugleich aber den Maximalprofit der Unternehmen nicht antastet?

Wenn uns politische Traumtänzer dauernd vorhalten, in der DDR hätten wir eine Diktatur gehabt, dann sollten wir darauf nicht mit der Antwort zögern: Ja, 1990 wechselten die Diktaturen. Erst gab es die Diktatur des Proletariats, die zugegebenermaßen nicht ohne Defizite war, jetzt aber herrscht bei uns die unmaskierte Diktatur des Kapitals. Wer will dieser Feststellung widersprechen?

„Manche Menschen sind der Meinung, daß man am Klassenkampf teilnehmen könne, aber nicht müsse. Sie meinen, wenn man nicht kämpfe, habe man sich dem Klassenkampf entzogen. Aber das ist ein schwerer Irrtum. Da der Imperialismus nicht danach fragt, ob er den Klassenkampf gegen den Werktätigen führen soll oder nicht, sondern ihn führt, nimmt jeder Mensch am Klassenkampf teil. Fragt sich nur, ob als Objekt, Trottel, Leiche – oder als Subjekt, Kämpfer, Sieger. Die Werktätigen führen also den Klassenkampf nicht deshalb, weil sie so blutrünstig sind … Sie führen ihn zur Selbsterhaltung und wissen dabei, je lascher sie ihn führen, je länger zieht er sich hin, und desto größer sind die Opfer. Je entschlossener sie ihn führen, desto schneller überwinden sie ihn durch ihren Sieg“, schrieb Rudolf Herrnstadt schon 1949 in seinem damals spektakulären ND-Artikel „Über ,die Russen‘ und über uns“.

Und auch das sollte man sich einprägen. Die großbürgerliche „New York Times“ veröffentlichte im November 2006 dieses freimütige Bekenntnis von Warren E. Buffett: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die den Krieg führt, und wir gewinnen ihn, wir besitzen die finanziellen Massenvernichtungsmittel …“ Gemeint sind hier Börsen, Banken, Kredite und Lobbyisten.

Diese Äußerung stammt direkt vom Klassenfeind. Denn Mr. Buffett ist der viertreichste Mensch der Welt (geschätztes Privatvermögen ca. 53,5 Milliarden Dollar). Er scheint sich seiner Sache recht sicher zu sein, wenn er so unverhohlen den Anspruch des Kapitals verkündet. An uns ist es, Leuten dieses Schlages eine Abfuhr zu erteilen.