RotFuchs 196 – Mai 2014

Kanadas „Deutsche Rundschau“ würdigt Jenny Marx

Faires aus Ontario

Rüdiger Eckert

Im beschaulichen Bad Kreuznach sagten am 19. Juni 1843 zwei Kurgäste zueinander ja. Eine der begehrtesten jungen Damen und „Ballkönigin“ der Trierer Gesellschaft, Jenny von Westphalen, heiratete nach siebenjähriger Verlobung den vier Jahre jüngeren Philosophen und Freigeist Karl. Beide führten fortan den gemeinsamen Familiennamen Marx. Mit dieser Liebesheirat hat Johanna Bertha Julie Jenny sich gegen einen möglichen gesellschaftlichen Erfolg – ihre Schwester Lisette brachte es zur Schloßherrin auf Hohenerxleben – und für den Außenseiter entschieden.

Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1814 in Salzwedel geboren, wuchs Jenny im behüteten Umfeld einer zum Beamtenadel gehörenden Familie mit gehobenem Lebensstandard und gesellschaftlichem Ansehen auf. Klug, gebildet, kritisch und sensibel für soziale Fragen, war sie stark genug, sich bewußt an die Seite des politisch agierenden, unbequemen und von der Verwandtschaft und Gesellschaft abgelehnten Karl Marx zu stellen. Das bedeutete vor allem ein von Geldsorgen, Ausweisungen und Anfeindungen belastetes Leben im Exil, mit mehrjährigen Aufenthalten in Paris und Brüssel, dann dreißig Jahre in London, das immer Exilort blieb, nie zur Heimat wurde. Während ihrer vierzigjährigen Partnerschaft erlebten Jenny und Karl Marx persönliche Krisen, die Geburten von sieben Kindern, von denen nur drei Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Am Todestage ihres Lieblingssohnes, des achtjährigen Musch, aus einem Londoner Elendsquartier buchstäblich auf die Straße geworfen zu werden, muß wohl von beiden als Tiefpunkt menschlichen Daseins empfunden worden sein. Marx’ Affäre mit der langjährigen Haushälterin Helene Demuth und die folgende Geburt seines außerehelichen Sohnes hat sie hart getroffen. Nicht immer gelang Jenny der Spagat zwischen der großbürgerlichen Herkunftsfamilie und dem frei gewählten Leben. Von diesen Schicksalsschlägen nicht völlig gebrochen zu werden, ist die eine Seite der Größe von Jenny Marx. Die andere ist ihr zutiefst erlittenes Verständnis für die Bedeutung des Lebenswerks ihres Mannes, dessen Zustandekommen nicht zuletzt mit dem Elend der Familie erkauft werden mußte.

Sie war nicht nur die Gattin an der Seite ihres gleichermaßen verehrten wie bestgehaßten Mannes und die Mutter ihrer Kinder, sondern eine politisch engagierte Frau. Sie war aktive Mitarbeiterin in der sozialistischen Bewegung, eine anerkannte Mitstreiterin ihres Mannes, auf deren Urteil er großen Wert legte. Für die Weggefährten war sie eine zuverlässige Ansprech- und Korrespondenzpartnerin. Für ihn war sie nicht einfach seine Sekretärin, sondern, wie wir heute sagen würden, die „Geschäftsführerin“ in Sachen Publikationstätigkeit.

Ohne ihre Abschriften Tausender von in Marx’ schwer entzifferbarer Handschrift vorliegender Manuskriptseiten wäre das Buchprojekt zum „Kapital“ wohl nie zu einem glücklichen Ende gekommen. Sie führte seine Korrespondenzen weiter, wenn Arbeit oder Krankheit ihn daran hinderten. Mit ihren einfühlsamen Briefen erreichte sie oft, daß die Fäden des gemeinsamen, weltweit geknüpften sozialen Netzwerks hielten oder neu verknüpft wurden, wenn es doch einmal zum Bruch gekommen war.

Nach dem Tod von Jenny und Karl Marx vernichteten ihre Töchter Eleanor und Laura das meiste an Korrespondenz. Überliefert ist nur, was sich in der Hand Dritter befand, aber auch das, was zufällig übersehen wurde. Insgesamt sind es 330 Dokumente, die anläßlich des 200. Geburtstages von Jenny Marx nun erstmals vollständig veröffentlicht wurden. Das Material erwies sich trotzdem als ausreichend, um ein lebensnahes Bild von ihr zu zeichnen.

1880 wurde bei Jenny Krebs diagnostiziert. Im Alter von 67 Jahren starb sie nach langem Leiden am 2. Dezember 1881 in London. Als Atheistin wurde sie am 5. Dezember 1881 in ungeweihter Erde auf dem Highgate-Friedhof in London begraben. Die Trauerrede hielt Friedrich Engels. Marx wurde die Teilnahme an ihrer Beerdigung von seinem Arzt verboten.

In heutigen Zeiten, da soziale Netzwerke 2.0 heißen und mit Mails, SMS, Chats und Tweets geknüpft werden, scheint die Kunst des Briefeschreibens in den Hintergrund gerückt zu sein. Ein rückläufiger Briefverkehr war jedoch nicht der Grund, der den Antrag, die couragierte Briefeschreiberin anläßlich ihres 200. Geburtstages mit einer Sondermarke zu ehren, im sachsen-anhaltinischen Landtag scheitern ließ. Seine Ablehnung begründete der Minister für Finanzen, Herr Bullerjahn, nicht ohne vorher Rücksprache mit dem Kultusministerium genommen zu haben, u. a. damit, daß Jenny Marx zwar eine große lokale Bedeutung für die Hansestadt Salzwedel und die Region Altmark habe, ihre historische Bedeutung im bundesweiten Kontext allerdings zu bezweifeln sei.

Zudem, fügte er süffisant hinzu, sei Jenny Marx „bereits eine Sonderbriefmarke der DDR im Jahr 1964 aus Anlaß des Frauenkongresses gewidmet worden“. (…) Auf der 20-Pfennig-Briefmarke ist als Bildmotiv eine Mutter mit lesendem Kind, im Hintergrund ein stilisiertes, Jenny Marx darstellendes Wandbild und neben den Personen ein kleiner Bücherstapel zu sehen. Eine namentliche Erwähnung erfährt die zu Ehrende somit nur auf einem Sonderstempel ihrer Geburtsstadt anläßlich ihres 150. Geburtstages.