RotFuchs 194 – März 2014

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Liebe geht nur
wenn du so gut lebst wie allein
wenn sprechen und zuhörn die schöne Feier sind
wenn du zehn Seiten hintereinander lesen darfst
ohne daß jemand etwas von dir will
Liebe geht nur ohne das schlechte Gewissen
über Freude, die der andere nicht teilen kann
einen Kummer, der sich noch nicht in Worte kleidet
Liebe geht nur, wenn du dich mit einer sanften Bewegung
abwenden darfst und da stößt keiner nach
Liebe geht nur ohne Herablassung
das irreführende Wort heißt Toleranz
wenn du willst, magst du dich verändern
ich verändere mich
ich nicht dich und du nicht mich
nur so geht Liebe
Vielleicht

Ich liebe dich. Und ich werde lernen, dir das in glaubwürdigen Wörtern zu sagen. Eine stumme Liebe taugt nicht, sie braucht ihre Sprache. Vielleicht werden wir ein Beispiel, an das sich andere Menschen halten. Das ist doch ein schöner Gedanke.

Im reichen Gedächtnis der Menschheit leben die Erinnerungen an Kriege und an die großen Lieben in besonderer Weise. Sie pflanzen sich fort, ergänzen und verändern sich. Der Krieg ist das Furchtbare, die Liebe das am meisten Ersehnte. Sie sind einander das Gegenteil und nur in einem gleich: sie lassen keinen Stein auf dem anderen. Im Krieg verengen sich die Gefühle auf den Wunsch, zu leben, sei es bei Wasser und Brot, nur leben, nur überleben. Wenn wir lieben, haben wir alles Vorher überlebt. Dann reicht uns oft nicht, was wir scheinbar sicher haben. Die Kunst hat uns gezeigt, wie Liebe sein kann, sie hat uns vielleicht auch schon gestreift, oder wir hatten sie, und sehnen uns danach, noch einmal so zu fühlen. Die traurige Wahrheit kann sein: So werde ich nicht geliebt. So fühle ich nicht, und so will ich, und so werde ich nicht für immer leben.

In jedem Stück oder Roman, in den Versen der Dichter, in den Bildern der Maler entsteht neben der Liebesgeschichte das Porträt der Gesellschaft, in der sie großartig sein konnten, oder gescheitert sind. Ohne die Verse der Labé wüßten wir weniger über das Leben einer hoffnungslos Liebenden vor fast vierhundert Jahren.

Wenn es uns selber betrifft, ist alles ganz anders. Wir fügen den Erfahrungen unsere einmalige, unvergleichliche hinzu. Hoffentlich, denn ohne das „private Weltereignis“ wäre es kein Leben.

In Zeiten der Einsamkeit denken wir: Wenn ich geliebt wäre, könnte ich ganz anders sein, ich könnte zu meiner wahren Größe auflaufen.

Klingt naiv, ist aber die ganze Wahrheit.

Nicht geliebt sein, das heißt: Nicht wahrgenommen werden, nicht aufgefangen in einer Niederlage, nicht gerühmt für die Bemühung, nicht erkannt als der Mensch, der wir sein könnten, wenn wir inmitten dieses überfordernden Weltgeschehens jemandes Herzpunkt und lebendiger Mittelpunkt wären.

Wenn wir uns geliebt fühlen, schwingen wir uns auf zu Entscheidungen und Handlungen, die hätten wir sonst auf ewig verschoben, oder für immer verdrängt. Denn darin sind wir Meister, als Ungeliebte. Aber nun steht in den schönen Augen des anderen, daß wir alles können, und also können wir ungeahnt viel.

Es gibt die Liebe, vergänglich, oder von Dauer. Man muß sie für möglich halten und an sie glauben. Sie verdient und verlangt großen Respekt, aber für die Liebe ist niemand zu jung oder zu alt, zu unbedeutend oder schon zu großartig vereinsamt. Lieben heißt auch: keine schmutzigen Geheimnisse vor dem anderen haben – und ihm ein Geheimnis bleiben. Durch und durch kennen kann man Verwandte, nicht die große Liebe. Ich liebe dich, könnte mich einbuddeln in dich, ich mag dich riechen, schmecken, anfassen, ich höre dir gern zu, Streit mit dir tut sterbensweh und ist manchmal nötig, du bist klüger, ich bin klüger, helfe dir tragen und lasse mir ohne Widerspruch beistehn.

Aber wir müssen auch Freunde werden, sonst wird unsere Liebe nicht gedeihn. Gerade in den schönsten Gefühlen lauert auch ihr Gegenteil, der Verrat, das Verderben, die Enttäuschung, der Haß. In der Kunst hat das zu reicher Beute geführt. Im Leben aber wollen wir uns davor hüten, durch Schweigen das Trennende zu bestärken, zu leiden und, miteinander oder aneinander, zugrunde zu gehen.

Trotz aller Aufhaltungen: Wir begegnen uns auf  Augenhöhe. Nichts sollte uns hindern, verständig über den Sinn alles schon Gelebten zu sprechen. Wir können vorher nicht ungewesen sein, und wer die eigenen Erfahrungen achtet, sollte das auch für den Partner gelten lassen.

Meine erste Liebe blieb unerwidert. Ich war fünfzehn und er schon ein gestandener Mann. Er hat nichts gemerkt, obwohl meine Gefühle sichtbar wie ein Elefant gewesen sein müssen. Für mich war diese erste Liebe ein Maßstab für das ganze Leben. Ich wußte von da an, wie ich fühlen kann. Es hat mich vor manchem Schaden beschützt, der im Nachkriegsberlin leicht zu haben war.

Was denkt ihr über die Welt? Es wird eure Liebe beeinflussen. Laß dir nicht sagen, daß unsereiner bei dem Kräfteverhältnis von vornherein verloren hat. Das hörst du vielleicht beim dritten Streit über eure Liebe dann auch. Die Welt geht euch beide an, und wenn ihr euch nicht wehrt, holen euch ihre Verwerfungen um so leichter ein. Ihr würdet nichts ändern, die Nachrichten sind, wie sie sind? Ihr könnt in einem bestimmten Moment eure Stimme abgeben, euch sehen lassen, wo es drauf ankommt, auch wenn es die Lage nicht sofort zum Tanzen bringt. Ihr könnt eure Kraft nicht hindern, euch Grenzen zu zeigen, aber eure Courage schon.

Ihr müßt euch der Verblödung widersetzen und der falschen Gläubigkeit.

Eure Liebe muß nicht langweilig, un-fruchtbar und kleinlich werden. Ihr beide könnt das verhindern, statt auf ein Wunder zu warten. Es macht Arbeit, kostet Kraft, aber es ist möglich – und es muß sein.

Wenn die Liebe langer Jahre
nur noch müde Füße hebt
wenn der Mond, der wunderbare
wie ´ne Zehnermarke klebt
wenn dein Atem dir zu laut ist
und wenn nichts mehr überspringt
wirst auch du zur alten Blume
die ins faule Wasser sinkt.

Unerträglich, nicht wahr? Zum Trost lese ich das Liebesgedicht, das Nazim Hikmet an seine Frau schrieb, als ihm das Todesurteil drohte.

In meinem Arbeitszimmer hängt ein Bild Esthers. Es zeigt die Frau von Peter Edel. Die beiden haben geheiratet, als sie fast ohne Hoffnung auf Überleben waren. Da legte sie ihm noch einen Zettel in seinen Koffer: „Du wirst überleben, ich weiß es, ich liebe dich.“

In der Anthologie „Welch Wort in die Kälte gerufen“ gibt es ein kurzes Lebensdatum: „Folgte seiner Frau freiwillig nach Theresienstadt. Wurde in Auschwitz ermordet.“ Ein junger unbedachter Heißsporn? Er war achtundsechzig Jahre alt.

Wir klagen manchmal über zu wenig Zeit füreinander, Abwesenheiten, Mangel an Ruhe. Auch über die Vergeblichkeit mancher Arbeit, die uns Kraft und neue Einsichten abverlangt hat.

Aber wenn du die Liebe willst, wenn du sie auf dich nimmst, dann wird dir nicht nur ihr Übermut und ihr Jubel zuteil. Sie wird dir alles abverlangen, was du vielleicht bisher nie zu Ende gebracht hast; sie reißt dir das Herz auf und rückt deinen Verstand grade. Das schafft die Liebe, und so kann die Welt dich brauchen.

Möglich, daß wir uns dann in der Menge begegnen.

Du gehst vor mir, Hand in Hand mit deiner Liebe, und ich wünsche euch Glück.