RotFuchs 193 – Februar 2014

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Eine gute Frage küßt Leben wach, auch solches, das nur noch Erinnerung zu sein schien.

Corona ist jung und weiß vieles nur, wie es ihr erzählt wurde. Das reicht ihr nicht. Sie fragt in einem Leserbrief an den RF, ob es denn stimme, daß die Lektorate in der DDR die Rockmusik behindert und feindlich behandelt haben.

Ich will dir gern antworten, Corona: als Autorin, Jurorin, kurzzeitige Lektorin und dann Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst, das vorher nur als Alibi existierte. Neben mir arbeiteten im Präsidium Rockkünstler wie Tony Krahl von „City“ und Puhdy-Meyer, sie gehörten zu den Vizepräsidenten.

Ja, es gab Behinderungen. Aber mit den Lektoraten hatte das wenig zu tun, denn die besaßen ohnehin nur eine beratende Funktion und gar keinen Einfluß auf die angebotenen Werke. Wer sie dort vorstellte, wollte das Geld und die Technik des Rundfunks für die Produktion. Wurde das vom Lektorat abgelehnt, konnten die Künstler zum nächsten potentiellen Partner gehen, und mit mehr oder weniger Anläufen hat es immer geklappt. In den Bezirken gab es gut gefüllte Geldtöpfe für die Kultur, und viel Ehrgeiz, vor den Arbeiterfestspielen oder anderen landesweiten Ereignissen solche Ideen zu finden, die an Medaillen denken ließen. Man brauchte sich gegenseitig und handelte im Alltag so.

Man konnte auch direkt zur einzigen DDR-Plattenfirma gehen. Deren Chefs waren zu begeistern, auch wenn andere abgelehnt hatten. Solange es nur um unterschiedlichen Geschmack ging, bekam eigentlich jeder seine Chance. Ich unterlasse die lange Liste unserer Stars, die das beweist.

Wir waren damals nicht arm an Liedern, an alten und ruhmreichen, an solchen aus dem Volk und vom Kampf unterwegs, auch zunehmend Gesängen aus der ganzen Welt. Wir übertrugen die Texte, wie bei Theodorakis, in unsere Sprache und ließen die jiddischen bei ihrem kostbaren Ursprung. Damals waren wir überreich an unterforderten Talenten. Was uns fehlte, war der Paukenschlag, der unvergleichliche Moment, wo etwas ganz Neues, Ansteckendes, aufgetaucht wäre.

Ja, wir waren begeistert von Pete Seeger, Perry Friedman, Joan Baez.

Aber das waren nicht wir, nicht unser zündendes Eingreifen in die Kämpfe unserer Zeit, nicht die künstlerische Darbietung unserer Haltung zu den Dingen des Alltags, der Welt, unserer Epoche. Es fehlte die Musik, mit der sich Zorn und Liebe, Ungeduld und Vorschlag unwiderstehlich gestalten ließen.

Wir wurden aufgehalten, denn ein Eishauch war durch unser kleines, eigentlich warmes Land gegangen. Die Partei hatte sich vor einem Plenum über Wirtschaft gedrückt und sich statt dessen auf die Kultur gestürzt, vor allem auf die Kunst, von der die meisten Funktionäre entweder kaum etwas verstanden – oder sie knickten vor der geballten Ladung angesagter Verdikte ein. So wurden fertige Filme in den Keller geschickt, Bücher blieben ungedruckt, Karrieren wurden aufgehalten, zumindest entmutigt. Es traf Mattheuers wunderbares Bildnis „Die Ausgezeichnete“ ebenso wie Kabaretts oder unsere Lieder über die Gegenwart.

Die Reue trat bald ein. Aber für einen historischen Augenblick verschlug es der Kunst den heißen Atem und die kühle Kraft der Gabe.

Einige Künstler hauten unter glaubwürdigen Vorwänden ab. Sie waren nicht mehr dabei, als das Wunder geschah. Wir hatten vorher immer nur das Bestehende verbessern wollen und gesichert. Aber dann kam wie über Nacht, gemacht aus Leichtigkeit und Lärm, etwas Neues, und daran hatten viele Künstler aus aller Welt teil.

Natürlich meldeten sich sofort wieder die üblichen Mahner und Verhinderer, die mit diesem „Yeah, yeah“ nichts zu tun haben wollten. Aber es war, als ob im Zaubergarten die Wasserfinger anspringen, in Gold und Silber, aber auch in überzeugendem Grau, wenn es nötig war. Was da entstand, war so ansteckend, daß die sogenannten E-Künstler „mitmischten“. Es entstanden ganz neue Formen und Darbietungen in Fülle, großer Spaß und tiefer Ernst. Es griff über, strömte und war Freisetzung für Inhalt. Die Möglichkeiten der Rockmusik forderten uns heraus. Und wir, die wir mit ihr gearbeitet haben, entdeckten uns selber neu und wehrten uns gegen Widerstände. Im Rundfunk sagte der Chefredakteur für Musik Wilhelm Penndorf zu Einwendern gegen Töne und Haarlänge „Ihr wollt also den Arbeiterjungs aus Liverpool ihre Musik verbieten. Und ihre Frisur.“

Meine Rockballade „Als ich fortging“ bezeugt, daß man Kulturfunktionärin, Fan und ausübende Künstlerin gleichzeitig sein konnte.

Was die DDR-Rocker geschaffen haben, kann sich hören lassen. Und niemand anders hatte die wilde, laute und zärtliche Tamara, „Lift“ und City, die Puhdys, Electra, einen hochbegabten Demmler und den Gundermann. Wir konnten Gastgeber sein und beim Jazz und Rock jedem Vergleich standhalten.

Wir können es noch, noch.

Die Probleme bestanden früher im Beschaffen des Equipments, denn unser Publikum urteilte nach seiner Hörgewohnheit.

Das größte Problem: Erst ab 1986 konnten wir erreichen, daß auch die Rocker zunehmend international erste Erfahrungen sammeln durften. Da waren unsere Soprane und Tenöre schon rund um die Welt geseppelt. Vorbei!

Ich genieße ihn noch immer, diesen einzigartigen Atem der Lieder – die aus aller Welt und unsere.

Corona, ich danke dir für die Frage.

Die Rockballade „Als ich fortging“ entstand 1986 nach einer Komposition von Dirk Michaelis. Wir schildern darin eine persönliche Entscheidungssituation. Seit der Veröffentlichung gibt es von diesem Lied weltweit 32 Cover-Versionen und Hunderte von Auslegungen. Es wurde ohne unser Zutun zum „schönsten Abschiedslied von der DDR“ erklärt, was allein durch das Entstehungsjahr widerlegt wird. Wir haben nichts dagegen, daß andere es als die „schönste Liebesballade der DDR“ bezeichneten.

Neben „Am Fenster“ und „Über sieben Brücken“ hat sie einen besonderen Platz.

Als ich fortging, war die Straße steil
kehr wieder um
nimm an ihrem Kummer teil
mach sie heil

Als ich fortging, war der Asphalt heiß
kehr wieder um
red ihr aus um jeden Preis
was sie wwie

Nichts ist unendlich
so sieh das doch ein
ich weiß, du willst unendlich sein
schwach und klein

Feuer brennt nieder
wenn’s keiner mehr nährt
kenn ja selber
was dir heut widerfährt

Als ich fortging, warn die Arme leer
kehr wieder um
mach’s ihr leichter, einmal mehr
nicht so schwer

Als ich fortging, kam ein Wind so wach
warf mich nicht um
unter ihrem Tränendach
war ich schwach

Nichts ist unendlich
so sieh das doch ein
ich weiß, du willst unendlich sein
schwach und klein

Nichts ist von Dauer
was keiner recht will
auch die Trauer wird dann sein
schwach und klein