RotFuchs 202 – November 2014

Leitartikel der Jugendzeitschrift „Start“ vom 7. Oktober 1949

Haben wir nichts Besseres als Bonn?

Rosemarie Knop

Die junge Journalistin Rosemarie Knop schrieb am Gründungstag des antifaschistisch-demokratischen Staates DDR in der ersten ostdeutschen Jugendzeitung den Leitartikel. Das kostbare Originaldokument übergab uns der 92jährige Nestor der RF-Autoren Helmuth Hellge. Seit 1948 leitete er im thüringischen Kriebitzsch die achtklassige Grundschule. In jener „Start“-Ausgabe war er bereits mit einem Leserbrief vertreten. Darin zählt der spätere Erziehungswissenschaftler eine Vielzahl damals von ihm bekleideter Ehrenämter auf und stellt fest: „Wir haben noch zu wenig selbstlose Mitarbeiter.“

Hier der Wortlaut des Artikels von Rosemarie Knop:

Eines Tages bemerkten wir, es war gar nichts Ehrenhaftes zu sagen: Ich bin ein Deutscher! Und wie sollte es auch, wenn 12 Jahre lang Deutschland der blutrünstige Hysteriker Hitler gewesen war, die Massenmörder Keitel, Schacht, Himmler und Streicher. Sie hatten das deutsche Volk repräsentiert und seinen Namen mit dem Fluch und den Tränen, mit dem Zorn und der Verachtung friedliebender Völker beladen. Als wir das bemerkten, schämten wir uns dafür, was Deutschland sich selbst angetan hatte, obwohl wir die geringste Schuld daran trugen, weil wir noch zu jung gewesen waren, um das Verhängnis abzuwenden, damals, als es begann.

Heute sind wir keine Kinder mehr. Und die volle Verantwortung trifft uns für das, was in Deutschlands Namen geschieht. Und in seinem Namen, den wir seit 1945 durch ehrliche Arbeit reinzuwaschen begannen, treten in Bonn Leute auf, die Hitler einst unterstützten. Und sie beginnen so, wie Hitler begann: mit Antisowjethetze, mit wahnwitzigen Forderungen nach Österreich, dem Sudetenland, nach polnischen Gebieten. Wenn die Adenauer und Heuß das als Mitglieder eines Bridgeclubs oder Vereins rechtsstehender Zigarrenraucher täten, könnte uns das relativ gleichgültig sein, aber sie tun es ja unter der Vereinsfahne „Deutsche Bundesregierung“, benutzen also wie Hitler den Namen Deutschlands für ihre eigenen ehrgeizigen und tollwütigen Pläne. So tollwütig, daß es selbst konservativen Kreisen zuviel wird. „Das westdeutsche Parlament hat der Welt ein erschütterndes Schauspiel geboten“, schreibt „Svenska Dagbladet“. Der Bundestag dürfte das Vertrauen, das man von ausländischer Seite dem politischen Neubeginn am Rhein entgegenzubringen bereit gewesen sei, schon verloren haben. Man frage sich, ob die neue deutsche Reaktion sich in einem Stadium befinde, das dem der Jahre 1927 oder 1932 entspreche und ob das Kabinett Adenauer ein Gegenstück zum Papen-Kabinett sei. Und die in Paris erscheinende offiziöse Zeitung „Le Monde“ schreibt: „Was die chamäleonartigen Verwandlungskünste derer, die heute in Deutschland eine politische Rolle spielen möchten, erleichtert, ist die Tatsache, daß es die Verwirrung und Verwicklung der politischen Einstellungen seit 1930 möglich machten, ihre Wetterfahne nach jedem Wind zu stellen und jede akzeptable Quadrillenfigur zu tanzen.“

Können wir dabeistehen und zusehen, wie Gestalten, die mit amerikanischer Hilfe aus dem Abfalleimer der Geschichte herausgekrochen sind, mit dem Unrat, der an ihnen klebt, den Namen Deutschland ein zweites Mal beschmutzen? Hat Deutschland denn nichts anderes, was es der Welt präsentieren kann?

Welche Frage! Wir haben, unterstützt von der sowjetischen Besatzungsmacht, nach den Potsdamer Beschlüssen in einem Teil unserer Heimat eine demokratische Ordnung aufgebaut, um die uns viele Völker beneiden. Ihre Repräsentanten sind Deutschland.

Der Neubauer, dem die Bodenreform Land gab, kann sich nicht von Junkern vertreten lassen, die im Bonner „Bundesrat“ sitzen. Der Student, der von der Maschine zur Universität kam, kann nicht repräsentiert werden von Verfechtern der kapitalistischen Bildungsprivilegien, von „alten Herren“ feudalistischer Burschenschaften. Der Arbeiter in einem volkseigenen Betrieb kann schwerlich seine Rechte wahrnehmen lassen von Leuten, die die Demontage lebenswichtiger Werke in Westdeutschland fördern. Die junge Frau, die um ihres Kindes willen für den Frieden kämpft, kann nicht hinter Mördern stehen, die die deutsche Jugend für eine „Bundespräsidenten“-Villa und eine gute Zigarre an Amerika verschachern. Sie haben ein Recht auf eine echte deutsche Regierung, die die besten Kräfte des Volkes repräsentiert: die Arbeiter, die Bauern, die schaffende Intelligenz. Das Ziel dieser Regierung ist klar, es kann nur das Ziel sein, für dessen Erreichung wir schon jahrelang kämpfen: Einheit Deutschlands. Friedensvertrag, Abzug der Besatzungsmächte, die Forderungen des Potsdamer Abkommens. Und wir können dieses Ziel erreichen, wenn wir an der Seite der Länder stehen, die die nationale Unabhängigkeit zu den unveräußerlichen Rechten eines jeden Volkes erhoben haben: der Sowjetunion, Volkschinas und der Volksdemokratien.

Eines Tages bemerkten wir, es war gar nichts Ehrenhaftes, zu sagen: Ich bin ein Deutscher – wegen Hitler oder wegen Streicher, die unseren Namen mißbraucht hatten. Wir haben inzwischen in einem Teil Deutschlands die Schmach abgetragen, wir können heute als Vertreter der Freien Deutschen Jugend und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes gleichberechtigt an den Friedenstreffen der Welt teilnehmen, und wir denken überhaupt nicht daran, das Ansehen, das wir uns in vier Jahren mit Schwielen an den Händen, mit müdestudierten Augen, mit knurrendem Magen und mit Verzicht auf manchen Kinobesuch, manchen Tanzabend erarbeiteten, von solch miesen Gestalten wie Adenauer und Heuß und wie die anderen von Amerika ausgehaltenen Subjekte heißen, beschmutzen zu lassen.

„In Übereinstimmung mit der Sehnsucht Millionen junger Deutscher erwarten wir vom Deutschen Volksrat die sofortige Einleitung von Schritten zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung. Millionen junger Deutscher, die es ablehnen, von den Bonner Separatpolitikern mit Haut und Haaren an die amerikanischen Monopolkapitalisten als Kanonenfutter verkauft zu werden, erwarten Ihre Antwort.“ So formulierte es einer von uns: Erich Honecker. Wir ersehnen eine deutsche Regierung, weil wir den Frieden ersehnen.