RotFuchs 234 – Juli 2017

Hans Brandt – Mit 30 Zeilen durch MV

Rainer Stankiewitz

Hans Brandt: Mit 30 Zeilen durch MV

Nein, abwarten wollte der langjährige Chefredak­teur der Schweriner Volkszeitung nicht, daß man ihm zu „Wendezeiten“ den Stuhl vor die Tür setzt, er nahm selbst seinen Hut; mit einundsechzig Jahren begann sein Unruhestand. Für einen Kom­munisten wie ihn verhießen die Umbrüche, die nach Einverleibung der DDR das Land veränder­ten, nichts Gutes. Doch er gab nicht auf, suchte nach sinnvoller Betätigung und hatte Glück.

Hans Brandt – von ihm ist hier die Rede –, ge­wöhnt, genau zu beobachten, bot seine Betrach­tungen einer regionalen Zeitung an. Man verein­barte eine wöchentliche Kolumne von 30 Zeilen. Es entstanden kleine, feine Reportagen und Anekdoten – Episoden aus dem ostdeutschen Alltag in Mecklenburg – Zeugnisse gutsherrlicher Beamtenmacht zugereister drittklassiger Westdeutscher einerseits, wachsende Enteignung, Verarmung und Verlust des Arbeitsplatzes andererseits.

Fast fünf Jahre (von 1994 bis 1999) schrieb Hans Brandt seine Kolumnen, geschlif­fen, unaufgeregt, überlegen, frei jeder Pöbelei. Aber irgendwann fiel es dem überge­ordneten Establishment doch auf: Was da in die Zeitung kam, richtete sich so gar nicht nach des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel verkündete Anweisung, die DDR zu delegitimieren, wo immer man ihr im Kopf, auf dem Papier oder mit eigenen Augen begegnete. Das Resultat können wir uns denken: Dem Schreiber wurde gekün­digt.

Heute, zwanzig Jahre danach, befanden Hans Brandt und der Wieden-Verlag: Wich­tige Zeitgeschichte ist entstanden. Wovor der Autor einst warnte, ist längst Realität; von wegen blühende Landschaften! Die Menschen zwischen Ost und West entfrem­den sich weiter. Von „Zusammenwachsen“ keine Spur.

Ein Buch faßt nun die Geschichten zusammen. Ein Leser meinte kürzlich: „Genauso war es, ich hatte es fast schon vergessen – bei allen Sorgen, die einen umtreiben. Es hat sich alles bewahrheitet.“

Die dem Kapitalismus eigenen Verwerfungen spiegeln in Peter Pagels Kolumnen – unter diesem Pseudonym wurden sie veröffentlicht – den rachsüchtigen Geist der Heimzahlenden. Doch Hans Brandt, der vorerst Unterlegene, zahlt zurück mit in elegante Worte gekleidete Fakten und weist nach vorn mit seinem unbeugsamen historischen Optimismus. Wer weiß, vielleicht finden unsere Enkel eines Tags eine Episode von Peter Pagel in ihrem Schulbuch – in einer Zeit, für die es sich zu käm­pfen lohnt.

Hans Brandt:

Mit 30 Zeilen durch MV
Peter Pagel im „Schweriner Sonntagsblitz“ von 1994 bis 1999

Wieden-Verlag, Crivitz 2016, 174 Seiten
ISBN 978-3-942946-58-2

13,00 €