RotFuchs 197 – Juni 2014

85 Mark Miete für eine Dreiraumwohnung?

Edda Winkel

Ich stöbere im ND-Archiv und finde eine Meldung vom 23. Januar 1984, die mich persönlich betrifft: Seit 1971 wurden in Berlin fast 15 000 Wohnungen modernisiert oder instandgesetzt, 5300 davon am Arnimplatz. 83,4 Prozent aller Wohnungen verfügen heute über Innentoilette und 62,7 Prozent über Bad oder Dusche. 4600 Familien zogen in Neubauten ein, für weitere 20 000 Bürger sollen sich im laufenden Jahr die Wohnverhältnisse verbessern.

Damals lebten wir mit zwei Kindern in einer Zweiraumwohnung in Lichtenberg. Der Platz war so intensiv ausgenutzt, daß sich zwei Zimmertüren nicht vollständig öffnen ließen. Gäste mit stärkerem Körperumfang hätten wir nicht empfangen können. Wir suchten nach etwas Größerem. Der Arnimplatz war in aller Munde. Wir sahen uns dort um, besichtigten eine modernisierte Wohnung. Geräumig war sie, hatte Fernheizung, was uns besonders zusagte. Warum lehnten wir dennoch ab? Von den Räumen ging eine bedrückende Atmosphäre aus. Sie waren dunkel, das kleine Schlafzimmer fensterlos, ein Alkoven. Die Wohnung hatte einen zweiten Ausgang. Hinter der von der Küche abgeteilten Duschkabine führte eine enge Stiege zum früheren Dienstboteneingang. In der Toilette gab es eine Leiter, über die ein winziger Raum erreichbar war. Dort war noch am Beginn des 20. Jahrhunderts das Dienstmädchen der Familie untergebracht. Es konnte sich weder aufrichten noch richtig Atem schöpfen.

Also blieben wir weiter in unserer Lichtenberger Wohnung, nicht ahnend, daß wir zu den 20 000 im letzten Teil der ND-Meldung erwähnten Bürgern Berlins gehören würden, die noch im gleichen Jahr eine Neubauwohnung beziehen konnten.

Danach sind wir aus den unterschiedlichsten Gründen wiederholt umgezogen. Dabei wurde der Mietpreis von 85 Mark der DDR für eine Dreiraumwohnung nie überschritten, warm versteht sich. Der aber lag während der letzten zweieinhalb Jahrzehnte im BRD-Regelfalle um ein Vielfaches höher.

Ende vergangenen Jahres gab es in diesem reichen Land 284 000 Menschen, die überhaupt keine Wohnung besaßen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl einer Stadt wie Karlsruhe. Die Tendenz ist steigend. Wenn mir Menschen mit Schlafsack und Pappkarton begegnen, frage ich mich, ob das Dienstmädchen vom Arnimplatz vor 100 Jahren nicht besser gelebt hat.

Nein, ihm fehlte die von Gauck gepriesene Freiheit. Der fromme Mann braucht sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Zur Zeit hat er seinen gesicherten Platz auf der Sonnenseite. Vermutlich weiß er, daß es in Deutschland 135 Milliardäre gibt und daß die 100 reichsten von ihnen zusammen 336 Milliarden Euro besitzen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Wie geht der Herr im Schloß Bellevue mit dieser Tatsache um? Ein Gerechter im Sinne der Bibel? Neidisch bin ich nicht. Als Rentnerin gehöre ich ja zu den bei Hausbesitzern beliebten Mietern, die ein festes Einkommen haben und keine besonderen Ansprüche stellen. Allerdings glaube ich nicht mehr daran, daß meine Bezüge, wie von Frau Merkel schon vor der letzten Wahlperiode versprochen, wenigstens in dieser Legislatur an westdeutsche Verhältnisse angepaßt werden.