RotFuchs 235 – August 2017

Hilfe für leidgeprüfte Menschen im Donbass

„Immer lebe die Sonne!“

Liane Kilinc

Sie wissen, daß Sie ins Kriegsgebiet fahren?“, fragt uns der russische Gren­zer bei der Paßkontrolle. Ja, wir wis­sen es. Unser Verein „Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe e. V.“ leistet dort seit 2015 humanitäre Hilfe. Nur einen Kilometer weiter: Der Grenzposten der Donezker Volksrepublik begrüßt uns: „Nun seid Ihr also bei den Terroristen und Separatisten angekommen …“ Wir verstehen den ironischen Unterton, schließlich wissen wir um die Informa­tionsblockade der bürgerlichen deut­schen Massenmedien und um deren Jargon, wenn vom Donbass die Rede ist.

Unser Ziel: Gorlowka, einst viertgrößte Stadt der Ukraine, heute eine der leidgeprüf­testen Orte des Donbass. Unsere Freunde, Raissa und Viktor, haben uns in Rostow am Don abgeholt. Fünf Stunden Autofahrt liegen vor uns, ehe wir die Bergarbeiter­stadt erreichen. Hier gab es einst 18 große Schachtanlagen. Eine ist noch in Betrieb. Obwohl die Steinkohlevorräte noch 50 Jahre reichen würden, wurden viele Bergwerke ganz bewußt nicht instandgehalten und später geschlossen. Der Grund und Boden wurde an Konzerne wie ESSO und SHELL verhökert. Durch die Stillegung wollte man auch die starken Gewerkschaften des Donbass ausschalten.

Übergabe von Spenden

Frühstück in Gorlowka … Brandlöcher in der Küchengardine. Wir erfahren, das Haus habe einen Volltreffer abbekommen, die Löcher seien durch Granatsplitter entstan­den. Dort, wo ich sitze, hatte ein großer Splitter die Polsterung der Bank zerfetzt. Jeden Tag schaue ich mit einem mulmigen Gefühl auf den Lederflicken. Seit 2014 herrscht der unerklärte Krieg im Donbass. Die vom „Blutpastor“ Turtschinow (Pastor in der Baptistenkirche, Übergangspräsident nach dem Maidan, Parlamentsvorsit­zen­der der Rada in Kiew und später durch Präsident Poroschenko zum Verantwortlichen für nationale Verteidigung ernannt) angeordnete Anti-Terror-Operation im Donbass forderte Tausende Menschenleben.

Während unseres Aufenthalts erleben wir täglich Leid, Tränen und Zerstörung. Tag und Nacht hören wir den Geschützdonner, Artillerie, Maschinengewehre, erleben die Zerstörung durch den Beschuß der ukrainischen Armee und der faschistischen Frei­willigenverbände. Von Donezk aus fahren wir nach Jassinowataja, nachdem dort mehrere Häuser beschossen worden waren.

Es gab drei Tote. Von dem Haus einer 77jährigen Rentnerin am Rande der Siedlung ist nicht viel übriggeblieben. Kinder, Enkel und Nachbarn bergen die Habseligkeiten der alten Frau. Auf der anderen Seite des Hauses sehen wir die ukrainischen Panzer in nur einem Kilometer Entfernung. Sie schießen auf wehrlose Zivilisten. Das gleiche Bild in Sajzewo. Wir können nur durch einen Teil der Siedlung fahren, unmittelbar hinter der Schule liegen ukrainische Scharfschützen in Stellung. Die Menschen in Sajzewo bitten uns um Kerzen, Taschenlampen und Matratzen für die Keller, in denen sie oft den Tag und die Nächte verbringen. Sponsoren aus Deutschland machen es möglich, daß wir vor Ort Hilfe leisten können. Wir verteilen Lebensmittelpakete, ver­sorgen Kindergärten mit frischem Obst, Bonbons und Spielzeug, lassen die Sand­kästen auffüllen, nachdem der Sand im Herbst zum Ausbessern der zerstörten Häuser benutzt wurde. Auch Staubsauger und Bügeleisen haben sich die Leiterinnen für ihre Kitas gewünscht. Der integrativen Berufsschule in Gorlowka besorgen wir einen Laserdrucker mit allem Zubehör, für die Diplomarbeiten der Auszubildenden wird er dringend benötigt. Außerdem übergeben wir der Nähwerkstatt Geld für Stoffe. Den jungen Boxern in Gorlowka können wir Trikots, Trainingsgeräte sowie einen Warmwasserboiler übergeben.

Auch die Kinder und Mädchen der Fußballmannschaft von „Chemie Gorlowka“ können sich über eine neue Ausstattung freuen. Eine Gruppe krebskranker Frauen aus Leip­zig hat für die Kinder im Donbass gestrickt, auch diese Spende löst viel Freude aus.

Ein Höhepunkt unseres Aufenthalts dort ist die Preisverleihung an die Teilnehmer des von uns gesponserten Malwettbewerbs „Kinder malen den Frieden“ und „Krieg mit den Augen der Kinder“.

Wir erleben zwei wunderschöne Konzerte in Donezk und Dokuschajewsk. Letzteres liegt unter starkem Beschuß, während wir im Kulturhaus mit den Kindern feiern und singen.

Kurz tauchen Fahrzeuge der OSZE vor dem Klubhaus auf, verschwinden aber, noch ehe die Veranstaltung beendet ist.

Hochachtung haben wir vor den Verantwortlichen des Kulturhauses in Gorlowka, die, obwohl das Gebäude teilweise stark zerstört ist, alles möglich machen, damit die Kinder auch weiterhin singen, tanzen, malen und basteln können. Noch klafft ein großes Loch in der Decke des Konzertsaales, auch hier werden wir helfen.

Wir haben im Donbass weder Terroristen noch Separatisten gesehen, wir haben Men­schen erlebt, die sich nichts Wichtigeres wünschen als Frieden. Gemeinsam mit den Kindern und Erziehern der Kindergärten in Gorlowka haben wir das Lied „Immer lebe die Sonne!“ und „Kleine weiße Friedenstaube“ gesungen.

Liane Kilinc ist Vorsitzende des Vereins Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe e. V.