RotFuchs 197 – Juni 2014

Mexikos spurlos Verschwundene

RotFuchs-Redaktion

Es gibt derzeit wohl kein anderes Land, wo so viele Menschen spurlos verschwinden oder „unter ungeklärten Umständen“ zu Tode kommen wie Mexiko. Folgt man der offiziellen Version, dann handelt es sich bei den „Ausgelöschten“ ganz überwiegend um Opfer von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Drogenkartellen. Zweifellos spielen mächtige kriminelle Vereinigungen und deren Bandenkriege eine gewichtige Rolle.

Doch vieles spricht dafür, daß die alle Dimensionen sprengende Gewalttätigkeit Teil einer bewußten Strategie zur Erzeugung von Angst und Schrecken ist, die Widerstandslosigkeit herbeiführen soll. Inzwischen kommen in Mexiko jährlich mehr Menschen um als während der Gesamtdauer der argentinischen Militärdiktatur. Im Verlauf der sechsjährigen Amtszeit des früheren Präsidenten Felipe Calderon registrierten Mexikos Behörden insgesamt 26 000 Menschen als „disappeared“ (verschwunden). In jedem Jahr seiner Legislaturperiode fielen mehr Mexikaner aus den Einwohnerkarteien heraus als während der gesamten Schreckensherrschaft Pinochets in Chile.

Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu 250 überprüften Tötungsverbrechen ergab, daß „Sicherheitskräfte“ in 149 dieser Fälle unmittelbar beteiligt waren.

Mexikos neuer schmutziger Krieg scheint weniger mit „subversiven Elementen“ und weitaus mehr mit staatlichem Machtmißbrauch zu tun zu haben, der oft in enger Zusammenarbeit mit dem Organisierten Verbrechen erfolgt, stellte Kanadas Information Clearing House fest. Ziel sei es, die „soziale Kontrolle“ zu behalten.

Zu diesem Zweck erfolge eine komplexe Militarisierung der mexikanischen Gesellschaft. Wo Blut fließe, hätten fast immer Angehörige der Armee, der Marine oder von föderalen wie örtlichen Polizeiorganen die Hand mit im Spiel. Die Glaubwürdigkeit amtlicher Untersuchungsergebnisse tendiere gegen Null. Auch bei nachgewiesenen Taten sei Straflosigkeit fast die Regel. In der Mehrzahl der Fälle werde den Angehörigen der Opfer lediglich mitgeteilt, die zu Tode Gekommenen seien „in kriminelle Aktivitäten verstrickt“ gewesen.

Über 98 % aller Tötungsverbrechen werden in Mexiko weder untersucht noch aufgeklärt. Im Jahr 2012 konnten von 27 700 Morden nur 523 geahndet werden. Solche offiziell bekanntgegebenen Zahlen legen die Vermutung nahe, daß der angeblich so energisch geführte Krieg gegen die Drogenkartelle in Wahrheit Schall und Rauch ist.

Wie sein Amtsvorgänger Calderon verlegt sich auch Staatspräsident Enrique Teña Nieto auf die durchgängige Militarisierung des öffentlichen Lebens, um der Krise Herr zu werden. Unter beiden Administrationen überschritt die Zahl der in Mexiko gewaltsam zu Tode Gekommenen die Grenze von 100 000. Damit gilt die Nord- und Zentralamerika verbindende Republik derzeit neben den USA als der gewalttätigste Staat der Welt.

RF, gestützt auf „The Guardian“, Sydney