RotFuchs 233 – Juni 2017

Mit Lutz und Liebe – Ein Porträt zum 90.

Helga Schwarz-Stötzer

Lutz Jahoda

Das ist kein lauer Höflichkeitsapplaus, so herzlich begrüßt man nur einen, der die Erwartungen seines Publikums stets erfüllt hat. Weshalb denn auch – wie auf allen Stationen seiner Gastspiele – sämtliche Vorstellungen ausverkauft sind. Vom ersten Augenblick seines Auftritts an bewirkt sein Lächeln heiteres Gelöstsein. Und so weit der Bogen vom feinen Witz bis zur derberen Komik auch gespannt ist, nie verletzt der charmante Plauderer und Sänger die Grenzen des guten Geschmacks. Niveau hat alles, was er – nach eigener Idee, eigenem Buch und eigener Regie – mit seiner „Humorbrigade“ und namhaften Gästen bietet. Beileibe keine „alten Hüte“, obwohl seine Lieder zu Evergreens wurden. Auch wenn er den Mitwirkenden den Vortritt läßt, er bleibt auf der Bühne, gestisch und mimisch beteiligt, 90 Minuten komödiantische Präsenz, immer wieder selbst Glanzlichter setzend: mit Conference, Parodie, Sing­spiel und Tanz. Fast ohne Requisiten vollzieht sich seine Verwandlung zum skurrilen Professor oder zum strammen Oberleutnant Lukasch in dem „Singspiel“ um den „braven Soldaten Schwejk“. Eben noch bewundert man ihn als eleganten, tempera­mentvollen Tänzer und ist dann vollends über die artistische Leistung des 56jährigen verblüfft, als der förmlich aus dem Stand in die Körperlosigkeit der Spejbl-Marionette springt, um mit Petr Altman aus Prag eine so umwerfend komische „Hurvinek-Spejbl“-Parodie darzubieten, daß man einfach mitten in der Szene klatschen muß. Wie leicht das alles aussieht, wie mühelos scheint es, auf den Gesichtern der Menschen das leise Schmunzeln und das herzhafte Lachen herbeizuzaubern, ihnen Freude zu schenken, Kraft für den Tag, die sie aus solch einem Abend mit nach Hause nehmen. Das Leichte aber, die Kunst, so gut zu unterhalten, ist schwer und braucht nicht nur eine angenehme Stimme und gelenkige Beine. Es braucht Begabung und Fleiß, Kopf und Herz – ebensoviel wie jene Künste, denen wir oft leichtfertig einen viel höheren Rang einräumen. Denn dies steht hinter dem Lächeln des „Spaßmachers“ Lutz Jahoda:

Die Tanten sind entzückt, und die Mutter schaut stolz auf ihren Fünfjährigen, der Papas viel zu großen Zylinder auf dem Kopf, dessen langen Schal verwegen über die Schulter geworfen, mit heller Stimme den berühmten Jan Kiepura imitiert. Nur Schwester Elisabeth ist ein wenig unzufrieden, daß nicht auch etwas Lob für sie abfällt. Schließlich war sie es, die dem Bruder zu den frühen Kinofreuden verhalf, denn oft genug wurde der Kleine der Obhut der acht Jahre Älteren anvertraut. Zwar wälzte sich die Lawine der Arbeitslosigkeit auch ins mährische Brunn, aber den Vater hat sie nicht erfaßt. Der tüchtige Kaufmann Jahoda ist als Vertreter großer Firmen geschätzt und viel in Geschäften unterwegs. Nur selten genießt Lutz die Spazier­gänge mit dem Vater durch die Stadt, von deren Plätzen überall freundliche Blas­musik ertönt. In dem musikalischen Jungen, der Violin- und Akkordeonunterricht erhält, werden sich diese Klänge tief einprägen. Ab 1933 besucht Lutz die Volks­schule. Noch spielt er mit Kurt, seinem jüdischen Freund, doch in Berlin macht der Faschismus schon seine 5. Kolonne mobil. Henlein und seine Anhänger marschieren, bald werden sie auch in Brunn sein. 1938 verraten die Westmächte im Münchner Abkommen die ČSR und schieben Hitler das Land unter die Stiefel. Auf der Real­schule ist Lutz kein Musterschüler, zu oft ahmt er die Lehrer nach. Der 12jährige ist ein kritisches Kind, dessen wachem Verstand kein Widerspruch zwischen Worten und Taten entgeht. Deutsch haben die Eltern ihn erzogen, haben ihn auf eine deutsche Schule geschickt, aber immer weniger versteht er ihre Zufriedenheit, „heim ins Reich“ geholt worden zu sein. Spüren sie denn nicht, wie das frohe Leben erlischt? Sogar die neue Musik befiehlt stumpfes Gehorchen. Als die Scheiben jüdischer Geschäfte zersplittern und sein Schulfreund spurlos verschwindet, beginnt sich sein Innerstes immer heftiger gegen den rassistisch kleinbürgerlichen Dünkel der mütterlichen Verwandtschaft, unter dessen Einfluß die Mutter steht, zu wehren. Besonders nach jenem grauen Morgen, an dem die Straßenbahn, mit der er täglich zur Schule fährt, immer langsamer wird. Er geht zur Plattform hinaus und sieht den langen Zug menschlicher Gestalten: Lautlos gehen sie, nur ihre Handwagen und Karren mit der armseligen Habe rollen über das Pflaster. Stumm auch die Kinder, die sich ängstlich an die Hände der Eltern klammern, eine Puppe, ein Spielzeug fest an sich gedrückt. So ziehen sie aus der Stadt, die Juden von Brünn … Obwohl Lutz nur von „Umsied­lung“ gehört hat, krampft sich sein Herz zusammen. Was gäbe er darum, eine Mutter zu haben, mit der er über seine Empfindungen sprechen könnte, über das Grauen, das ihn erfaßt, wenn er die roten Plakate an den Litfaßsäulen liest, auf denen die Namen derer stehen, die Widerstand leisteten, Kommunisten, deren Kopf unter dem Beil des Henkers fiel. Und eine Kluft tut sich auf zwischen ihm und den Eltern, eine Kluft des Schweigens, die sich wie eine schwärende Wunde niemals mehr schließen wird. Um der Hitlerjugend zu entgehen, meldet er sich zur Freiwilligen Feuerwehr, deren Chef als Inspizient am Stadttheater arbeitet. Obwohl es Lutz Freude macht, durch seine Vermittlung als Statist und später sogar in kleinen Sprechrollen auf der Bühne zu stehen, er hält an seinem Berufswunsch, Journalist zu werden, fest. 1943 könnte er wohl – nunmehr auf der Handelsschule – den besten Aufsatz schreiben, hieße das Thema nicht: „Wie stelle ich mir meine Zukunft nach dem Endsieg vor?“ Als Hohn empfindet er eine solche Frage. Zum ersten Mal will er nicht mehr schweigen. Als einziger der Klasse streicht er in wilder Wut alle Seiten des Heftes durch und wird zur Rechenschaft gezogen. Ende 1944, sein Vater ist gestorben, muß er zum Arbeits­dienst.

Im Januar 1946 weiß der 17jährige, daß ihn nun Hitlers letztes Aufgebot erwartet. Ihm ist es wie ein Todesurteil. Denn er erkennt, daß er sein Leben verwirkt, wenn er den Mördern dient. Warum hilft die Mutter nicht, ihn bei Freunden in Wien zu ver­bergen? Verzweifelt folgt er dem Rat, sich freiwillig zur Luftwaffe zu melden. Dorthin, so heißt es, würde man später eingezogen, vielleicht war der Krieg dann schon zu Ende? Diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Nach 14tägiger Ausbildung wirft man die Jungen – mit einfachen Karabinern bewaffnet – bei Deutsch Altenburg (südlich von Wien) der Roten Armee entgegen. Im Rücken die Maschinengewehrläufe von SS-Einheiten, beginnt das große Sterben. Lutz kann und will nicht schießen, wie durch ein Wunder gelingt ihm die Flucht. Die „Kettenhunde“ der Feldgendarmerie greifen ihn auf. Noch fehlen einige Tage bis zu dem Blutgesetz, das ihnen das „Recht“ gegeben hätte, ihn sofort am nächsten Baum aufzuhängen, noch kann er sich herausreden. Und da ist jener Offizier, dar menschlich handelt und ihn unter dem Vorwand ungenü­gender Ausbildung ins Hinterland abkommandiert. Hier aber packt ihn die Ruhr. In Bratislava, in einem Lazarett der Roten Armee, pflegen sowjetische Arzte und Schwestern ihn und andere junge Deutsche wieder gesund. Tief beeindruckt – auch davon, daß man ihn einfach nach Hause schickt – fährt er zu Mutter und Schwester nach Wien.

Vielleicht wäre aus Lutz Jahoda nie der Mensch, der Künstler geworden, den viele in der Unterhaltungskunst Sachkundige als Meister seines Fachs bezeichnen und von dem der bekannte Komponist und Musikwissenschaftler Karl Schinsky sagt: „Jahoda ist für die Entwicklung der Unterhaltungsmusik in der DDR ein Vorbild durch die Art seiner Darbietung. Er hat das gewisse Etwas, er gestaltet die Titel, er ist ein Dar­steller mit Musik. Jeden Auftritt bereitet er wie ein Schauspieler vor. Er schreibt nicht nur seine Texte selbst, sondern bringt auch Musikvorschläge mit.“ Ja, diese Anlagen hätten vielleicht brachgelegen, wenn er als 17jähriger nicht in Erich Elstner einen väterlichen Freund gefunden hätte. Der Operettenbuffo und Regisseur hatte mit ihm im gleichen Lazarett gelegen. Auch ihm hatten die sowjetischen Freunde das Leben gerettet. Glücklich, dem bereits in Brünn Verehrten nahe sein zu können, hatte Lutz bei der Pflege des noch Schwächeren geholfen. Und dankbar erinnert sich Elstner, als sie einander in Wien zufällig auf der Straße wiederbegegnen, an seinen jungen Freund. Elstner erkennt Jahodas Talent und gibt ihm kostenlos Schauspielunterricht, seine Frau, Hilde Engel, unterweist ihn in Gesang. Im Winter 1946 wird Elstner als Operettenbuffo ans Metropol-Theater engagiert, und Lutz fährt mit ihm nach Berlin. Noch ist sein alter Wunsch, Journalist zu werden, in ihm wach. Und außerdem wartet kein Theater auf den 19jährigen, der keinen Prüfungsnachweis vorlegen kann. So tut der junge Mann, der mit offenen Augen durch die in Trümmern liegende Viersektoren­stadt geht, das Nächstliegende: Er hilft als Handlanger beim Bau, diese Stadt wieder aufzubauen. Mit dem Geld, das er als Hucker und Mörtelrührer verdient, bezahlt er in einem Ballettstudio in der Schönhauser Allee privaten Tanzunterricht – und wartet dennoch auf einen Vertrag bei einer Zeitung. Doch schneller als der eintrifft, vermit­telt Elstner ihn ans „Neue Theater am Nollendorfplatz“, wo Jahoda neben Sonja Ziemann und Rudolf Platte kleinere Rollen spielen kann. Danach wird er Mitglied des Ensembles „The English Repertory Players“, das in Viktor de Kowas „Tribüne“ für Angehörige der westlichen Besatzungsmächte in englischer Sprache spielt. Sich in Hauptrollen – so dem Dr. Siedler im „Weißen Rößl“ – zu erproben, bietet allerdings erst die „Berliner Operettenbühne“ Gelegenheit, ein Wandertheater, das rings um Berlin seine Zuschauer erfreut.

1947 geht der in Berlin-Wilmersdorf wohnende Westberliner Jahoda an das „Theater der Altmark“ nach Stendal, das ihn als jugendlichen Komiker und Operettenbuffo verpflichtet. Wenn er in diesen drei folgenden entscheidenden Lehrjahren von der Presse u. a. für seine Solistenrolle in der Operette „Csardasfürstin“ als „leuchtender Stern am Stendaler Himmel“ bezeichnet wird, so verdankt er das seinem zweiten väterlichen Freund, dem Regisseur Leo Wanaus. Die Stimmlage des Buffos liegt zwischen Tenor und Bariton. Jahoda verfügt über keine große Stimme, groß jedoch ist seine besondere Begabung, über Herz und Verstand sein Publikum zu erreichen. Auf diesem Talent baut Leo Wanaus auf und formt ihn. An so hervorragende künst­lerische Leitung gewöhnt, ist Jahoda 1951 in Halberstadt zu Kompromissen nicht bereit. Er bricht seinen Vertrag und nimmt ein Engagement im „Zimmertheater“ in Garmisch-Partenkirchen an. Hier wird er erleben, daß ihn sudetendeutsche Lands­mann­schaften für ihre revanchistischen Zwecke einzuspannen versuchen. Das macht es ihm 1954 leicht, eine endgültige politische und künstlerische Entscheidung zu treffen: Er wählt von allen Angeboten die „Städtischen Bühnen“ Leipzig. Nochmals nimmt er Gesangsunterricht und feiert Erfolge in Hauptrollen, z. B. im „Graf von Luxemburg“, in „Feuerwerk“ , im „Zigeunerbaron“, um nur einige zu nennen. Seine Leistungen werden von der Kritik nur in Superlativen beschrieben.

Die Mikrofonprobe am Sender Leipzig war positiv ausgefallen. Aber erst, als er in einer öffentlichen Veranstaltung für den erkrankten Fred Frohberg einspringen kann, gelingt Jahoda auch hier der Durchbruch. Maßgebend beteiligt daran ist sein dritter „Pate“: Erich Donnerhack, Leiter des Rundfunkunterhaltungsorchesters Leipzig. Was wir in den fünfziger Jahren aus dem Radio hören, kommt – für Jüngere kaum vorstellbar – ausschließlich original über die Sender. Stimmaufwertende Technik, Tonbänder, aus denen man falsche Töne herausschneiden kann, das alles gibt es damals noch nicht. Und das stellt hohe Anforderungen an die Sänger – nachzulesen in Jahodas interessantem Buch „Mit Lust und Liebe“. Darin hat der Künstler auch seine Begabung zum Schreiben bewiesen; doch natürlich auch in seinen Liedtexten. Die ersten entstehen aus gesellschaftlicher Verantwortung, denn das bisherige Repertoire Wiener Lieder kostet harte Devisen. Bald sind seine neuen Stimmungs­lieder – die von Addy Kurth vertonte „Nováček-Polka“, „Turecký met“, „Die Blasmusik von Kickritzpotschen“ (Musik Alo Koll) und andere – ebensolche Ohrwürmer wie vordem der „Stille Zecher“ und „Powideltatschkerln“. Über 100 Lieder hat er inzwi­schen gesungen. Viele werden bleiben, nicht nur auf den zwei Langspielplatten und Singles. 1957 ist das Jahr seines Abschieds vom Theater, weil ihn die Gestaltung eigener Programme reizt. Zugleich ist es das Jahr seiner Premiere auf dem Fern­seh­bildschirm – dank Heinz Quermanns Initiative. In den Sendungen „Da lacht der Bär“, „Amiga-Cocktail“ und „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ wird Jahoda Millionen zum Begriff. In 25 Folgen „Mit Lutz und Liebe“ (Texte Quermann und Jahoda) präsentiert er mit „Amadeus“, dem Leihpapagei aus dem Leipziger Zoo, „Alte Schlagerhüte“, die seit Januar 1983 von der ebenso beliebten Sendung „Spiel mir eine alte Melodie“ abgelöst werden. Seit 1980 moderiert der nunmehr dienstälteste freischaffende Unterhaltungskünstler des Fernsehens der DDR auch den „Wunsch­brief­kasten“. Bedauerlich, daß bislang nur ein Regisseur den Mut aufbrachte, Jahoda als Schauspieler einzusetzen: Hans-Joachim Kasprzik, der 1980 in dem Fernsehfilm „Abschied vom Frieden“ in Jahoda die ideale Besetzung des „Poldi“ sieht. Da erleben die staunenden Fernsehzuschauer einen ihnen bisher unbekannten Lutz Jahoda: Da ist er nicht nur in die Uniform, da ist er ganz in die Haut des Menschen geschlüpft, der als Produkt einer untergehenden Gesellschaft an ihr zerbricht. Wie er das ausspielt, jeden Umschlag der Komik ins Tragische, das bleibt im Gedächtnis haften, denn da gibt es Augenblicke, in denen man große Darstellungskunst spürt. Man möchte hoffen, daß dies nicht seine einzige Chance bleibt, die ganze Breite seines Könnens zu zeigen.

Wer sich bei gestiegenen Ansprüchen und sich änderndem Geschmack so dauerhaft die Treue seines Publikums erhalten konnte, darf, wie er es selbst geschrieben hat, „weder im Elfenbeinturm noch auf hohem Roß sitzen. Er muß die Menschen kennen und auch für Kritik offen sein, immer etwas mehr von sich selbst verlangen, als man bei anderen gern sehen möchte.“ Und viel, viel Fleiß gehört dazu. Jahoda ist in allem von einer fast pedantischen Genauigkeit, die man eher bei einem Hauptbuchhalter vermuten würde. 9.30 Uhr sitzt er an seinem Schreibtisch, in dessen Schubladen 45 neue Liedtexte darauf warten, uns zu erfreuen. Zuschauerpost wird beantwortet, und Texte für die Programme entstehen. Ich habe erlebt, wieviel Mühe er für nur ein Lied aufwendet: Immer wieder probt er das Zusammenspiel von Melodie und Bewegung, um sein Anliegen auszudrücken, mitzuteilen. Bis zu vier Stunden ist er im Auto zu den Gastspielorten unterwegs. Mit großer Sorgfalt kontrolliert er vor der Vorstellung alles, um Pannen auszuschließen. Was alles passieren und den Ablauf auf der Bühne empfindlich stören kann, wußte ich vor der Lektüre seines Buches auch noch nicht.

Der Künstler, der alljährlich seinen Urlaub unterbricht, um am Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz teilzunehmen, ist fest im Bündnis mit allen, die ihre ganze Kraft einsetzen, damit verhindert wird, daß je wieder Schuld und Leid über uns kommen.

Aus „FFdabei“, 51/1983