RotFuchs 199 – August 2014

Lawrow zur NATO-Strategie der Ausdehnung auf Kosten Rußlands

Moskaus Chefdiplomat spricht Klartext

RotFuchs-Redaktion

Die ukrainische Krise sei ein natürliches Ergebnis der vom Westen auf Kosten russischer Interessen verfolgten Ostexpansion, erklärte Außenminister Sergej Lawrow auf einer internationalen Sicherheitskonferenz, die am 23. Mai unter Teilnahme hochrangiger russischer Staatsmänner und Abgesandter aus über 40 Ländern – darunter China, Indien, Pakistan, Ägypten, Iran und Belarus – in Moskau stattfand. Zu einer solchen Beratung war bereits zum dritten Mal in die russische Hauptstadt eingeladen worden. Die Haltung des Westens zerstöre die historische Chance für einen tatsächlich vereinigten europäischen Kontinent, sagte Lawrow. Das turbulente Geschehen in der Ukraine erinnere an die Gewalt und das Blutvergießen, das dieser Erdteil im 20. Jahrhundert erfahren habe.

„Europa, das im vergangenen Jahrhundert zwei militärische Katastrophen von globalem Ausmaß hervorbrachte, liefert der Welt nicht das Beispiel einer friedlichen Entwicklung und breiter Zusammenarbeit“, bemerkte der russische Chefdiplomat. Diese Situation sei nicht zufällig entstanden, sondern die Folge von Entwicklungen, die sich im letzten Vierteljahrhundert vollzogen hätten.

„Unsere westlichen Partner schlugen eine wahrhaft geschichtliche Chance aus, ein größeres Europa zu schaffen. Sie bevorzugten Trennlinien und die übliche Logik der Ostausweitung des geopolitischen Raumes unter ihrer Kontrolle“, betonte Lawrow. „Das ist de facto eine Fortsetzung der Politik zur Eindämmung Rußlands in harmloserer Verkleidung.“ Der Westen habe Rußlands Ruf zur Kooperation ignoriert und den Vorschlag Moskaus, verschiedene eurasische Entwicklungsprojekte zusammenzubringen, zurückgewiesen. Statt dessen zwinge er Nationen, die seinem Land historisch nahestünden, dazu, sich zwischen Ost und West zu entscheiden.

„Angesichts der zerbrechlichen politischen Situation der Ukraine reichte dieser Druck aus, dort eine massive Staatskrise auszulösen“, stellte Lawrow fest. Sie sei jedoch nur ein Beispiel der zerstörerischen Ergebnisse, zu denen die Außenpolitik westlicher Mächte geführt habe. „Die Operationen zum Regimewechsel in souveränen Staaten und die vom Ausland orchestrierten verschiedenfarbigen ,Revolutionen‘ unterschiedlicher Marken schädigen offenkundig die internationale Stabilität. Die Versuche, anderen Völkern das eigene ‚Design‘ für innere Reformen aufzuzwingen, das die nationalen Charakteristika nicht in Rechnung stellt, sowie den ‚Demokratieexport‘ zu forcieren, fügen den zwischenstaatlichen Beziehungen Schaden zu und vervielfachen die Zahl der Unruheherde auf der Weltkarte“, betonte Moskaus antiimperialistischer Außenpolitiker Nr. 1.

„Schemata, die sich auf ein Herausheben der eigenen Außergewöhnlichkeit gründen, die Verfolgung doppelter Standards, das Drängen auf einseitige geopolitische Ergebnisse in Krisensituationen finden nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Regionen weitestgehende Anwendung“, urteilte Lawrow. „Das untergräbt Vermittlungsbemühungen zur Krisenbewältigung.“

Die gravierenden Probleme in der Ukraine, Syrien, Afghanistan und vielen anderen Ländern könnten nur durch kollektive Anstrengungen bewältigt werden, wobei sich Rußland dafür einsetze, die Kräfte zur Inangriffnahme der Lösung dieser Fragen zu bündeln. Ein solches gemeinsames Bemühen habe bekanntlich erst unlängst zu Fortschritten im Hinblick auf das iranische Nuklearprogramm und bei der Beseitigung des syrischen Chemiewaffenpotentials geführt, konstatierte Lawrow.

„Wenn Krisenmanagement in jeder Richtung kollektiver Anstrengungen bedarf, dann sind die Gründe jener schwer zu begreifen, die Beschlüsse zur Einschränkung der Zusammenarbeit mit Rußland in bezug auf gemeinsame Herausforderungen und Drohungen fassen.“ Es ist zu bezweifeln, daß dadurch die Effektivität der Bekämpfung des Terrorismus, das Verhindern der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln, das Reagieren auf natürliche und durch Menschen verursachte Katastrophen oder die Errichtung von Schranken für extremistisches Handeln gesteigert werden können, schlußfolgerte Lawrow. Es gehe vielmehr darum, ein polyzentrisches System globaler Sicherheit zu schaffen, das berechtigte Interessen der jeweils anderen Seite, kulturelle Unterschiede sowie das Recht auf Selbstbestimmung respektiere, um eine gerechte, sichere und demokratische Welt zu schaffen.

Lawrows unmißverständliche Verurteilung der inzwischen nach Farben benannten oder mit anderen Attributen versehenen „Revolutionen“ ergänzte Rußlands Verteidigungsminister Sergej Shoigu, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm. Die ukrainische Krise sei das jüngste Beispiel einer solchen „Revolution“. „Nach dem mit Hilfe ausländischer Kräfte gewaltsam herbeigeführten Sturz des Präsidenten glit die Ukraine praktisch in einen Bürgerkrieg ab“, sagte Shoigu. „Im Herzen Europas wurde künstlich ein Brandherd geschaffen. Das hat negative Auswirkungen auf die globale Sicherheit.“

Das „ukrainische Schema“ finde inzwischen Nachahmer, wobei er nicht zuletzt an Venezuela denke, gegen dessen rechtmäßige Regierung ebenfalls eine sogenannte „demokratische Opposition“ stünde, die vom Ausland angefeuert werde. Doch während die diversen „Farb-Revolutionen“ der 90er Jahre und des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts relativ unblutig verlaufen seien, erinnerten die jetzigen zunehmend an militärische Invasionen, stellte Rußlands Verteidigungsminister fest. Heutzutage stünde nicht mehr ein lokal begrenzter Regimewechsel zur Debatte. Es gehe um langfristige und weltweite Destabilisierung.

Aus: „Russia Today“