RotFuchs 226 – November 2016

Naziverbrecher wurden in der DDR konsequent verfolgt

RA Ralph Dobrawa

Dieter Skiba und Reiner Stenzel – beide über Jahrzehnte in den Hauptabteilungen IX/11 bzw. IX/10 des Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen – haben ein neues Buch vorgelegt. Unter dem Titel „Im Namen des Volkes“ werden die in der DDR geführten Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Nazi- und Kriegsverbrecher vorgestellt. Das Buch belegt auf eindrucksvolle Weise, daß die DDR ein zutiefst antifaschistischer Staat war, maßgeblich aufgebaut von jenen, welche die Greuel des Faschismus erlebten und sich schworen, alles dafür zu tun, daß sich ein solches Kapitel deutscher Geschichte nie wiederholt. Die Sühne von Nazigewaltverbrechen war deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der hierfür zuständigen Bereiche des MfS. Dabei leisteten beide Abteilungen eine sehr aufwendige und gründliche Arbeit, die dazu beitrug, daß die erhobenen Anklagen auch einer gerichtlichen Überprüfung standhielten, was in der Regel der Fall war.

Die Arbeit beeindruckt vor allem wegen ihrer gründlichen Recherche und Übersichtlichkeit. Sie zeigt, auf welcher Rechtsgrundlage die Entscheidungen in der DDR ergangen sind und welche Aufgabe dem Ministerium für Staatssicherheit bei der Suche und Verfolgung von Nazi-Verbrechern zukam. Anhand von ausgewählten Verfahren werden verschiedene Verbrechenskomplexe und Tätergruppen dargestellt. Hierzu zählen unter anderem Ermittlungsverfahren gegen Täter in faschistischen Haftstätten, gegen Angehörige der Waffen-SS, der Gestapo, des SD und der Geheimen Feldpolizei sowie gegen Hilfskräfte und Kollaborateure. Auch auf Verfahren gegen Angehörige faschistischer Justizorgane und der Wehrmacht sowie Ermittlungsverfahren wegen „Euthanasie“-Verbrechen gehen die Autoren ein. Dadurch wird deutlich, daß die geführten Ermittlungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen vorgenommen wurden, wo nazistische Greueltaten verübt worden sind. Auf die „Waldheim-Prozesse“ gehen die Autoren umfänglich ein. 91 von insgesamt 3324 Urteilen wurden ausgewählt, die Tötungshandlungen an Menschen zum Gegenstand hatten. Hieran schließt sich eine Gesamtübersicht an, die Tötungsverbrechen während der Zeit des Faschismus beinhalten und deren Täter rechtskräftig abgeurteilt worden sind.

Den Autoren half es, daß sie für ihre Recherchen die von Amsterdamer Forschern herausgebrachte vierzehnbändige Dokumentation unter Leitung von Christian Frederik Rüter und Dick de Mildt nutzen durften. Insgesamt 839 Fälle konnten sie so in komprimierter Form zusammentragen. Soweit aufklärbar war, ob es diesbezüglich nach 1990 Rehabilitierungsanträge gegeben hat und wie über diese entschieden worden ist, haben dies die Autoren kenntlich gemacht.

Die Zusammenstellung belegt auch, daß die Strafverfolgung auf ostdeutschem Gebiet bereits vor der Gründung der DDR eingesetzt hat und danach konsequent fortgeführt wurde. Keineswegs endeten alle Verfahren mit einer Verurteilung. Es finden sich auch eine Reihe von Freisprüchen, was insbesondere die These widerlegt, eine Strafe hätte bereits vorher festgestanden. Ab 1965 erschien in der DDR das legendäre „Braunbuch“ (Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin) in drei Auflagen.

Auch wenn man dessen Inhalt in der Bundesrepublik nicht wahrhaben wollte – das Buch wurde damals auf der Frankfurter Buchmesse beschlagnahmt – hat die Geschichte dessen Wahrheitsgehalt bestätigt. In nur sehr wenigen Fällen waren die Angaben nicht richtig. Auch das spricht für eine gründliche Ermittlungsarbeit. Das Buch von Skiba und Stenzel setzt dies fort. Es ist ihm sehr zu wünschen, daß es eine weite Verbreitung findet, vor allem auch in jenen Kreisen, die bisher mit Vorurteilen zur Verfolgung von nazistischen Verbrechen durch die DDR nicht sparsam umgingen. Es ist inzwischen längst unbestrittene Tatsache, daß die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik bei der Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte kläglich versagt haben und die jetzt in jüngster Zeit eingeleiteten Verfahren gegen über 90jährige Beschuldigte nicht davon ablenken können, was über Jahrzehnte versäumt, verschleppt und vereitelt wurde.

Dieter Skiba/Reiner Stenzel:

Im Namen des Volkes
Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher

Edition Ost, Berlin 2016. 464 Seiten

29,99 €