RotFuchs 234 – Juli 2017

Texte gegen die amerikanische Weltherrschaft im 21. Jahrhundert

Noam Chomsky: Weil wir es so sagen

Antoinette Mächtlinger

Noam Chomsky: Weil wir es so sagen

Es ist wohl müßig, Noam Chomsky vorzustellen, ist er doch weltbekannt nicht nur als Linguist, sondern auch als einer der wichtigsten Analytiker und Weiterdenker des Zeitgeschehens. In der vorliegenden Textsammlung sind Vorträge und Aufsätze von Dezember 2011 bis September 2014 zusammengestellt. Nicht neu, aber aktuell. Chomsky, der Denker, Wissenschaftler, Politiker von Aristoteles bis Snowden zu Rate zieht, überrascht immer wieder mit seinem Weitblick. Als US-Amerikaner spricht er oft von „wir“, warnend, in tiefer Besorgnis. Angesichts der Vielfalt an Themen beschränken wir uns hier auf drei Schwerpunkte.

Konzept des Irrationalen

Im November 2013 sieht Chomsky eine „drastische Verschiebung der politischen Klasse nach rechts“. Er zitiert Norman Ornstein, der die heutigen Republikaner beschreibt als „radikale Aufstandsbewegung aus ideologischen Extremisten, die für Tatsachen und Kompromisse nur Spott und Hohn und für ihre politischen Gegner nur Geringschätzung übrig haben“. Chomsky fährt fort: „Die Partei ist ausschließlich den Superreichen und der Unternehmerseite hörig und dienstbar. (…) Verrückt zu sein ist unter den Mitgliedern der Tea Party und einer ganzen Reihe anderer Gruppen außer­halb des Mainstreams ganz normal.“ Solche Gruppierungen können die Republikaner „als Rammbock einsetzen: für Privatisierungen, Liberalisierungen und zur Beschnei­dung des Einflusses der Regierung, außer jener Teile, die den Reichen und Mächtigen dienen, wie das Militär“.

An anderer Stelle befaßt sich der Autor mit der US-Atombewaffnung seit dem Ende des kalten Krieges: „In diesem Sinne werden Atomwaffen ständig eingesetzt, so wie man eine Pistole einsetzt, wenn man mit ihr auf jemanden zielt, aber nicht abdrückt.“ Und er zitiert eine Studie des US Strategie Command von 1995: „Es schadet nur, uns selbst als völlig rational und besonnen darzustellen. … Daß die USA irrational und rachsüchtig handeln können, wenn ihre grundlegenden Interessen angegriffen wer­den, sollte ein Teil des Bildes von unserer Nation sein, das wir allen Gegnern vermit­teln.“

Abgehobene USA

Chomsky zitiert Samuel P. Huntington, der schon 1999 gewarnt hat, die USA werden in den Augen eines Großteils der Welt zu einer „Schurkensupermacht“. Oder die Zeit­schrift „Foreign Affairs“ (2013), die von der „Abgehobenheit der USA vom Rest der Welt“ spricht und damit die zunehmende Ablehnung oder Nichteinhaltung multilate­raler Verträge meint. Dazu Chomsky: „Was immer die Welt denken mag, die Hand­lungen der USA sind gerechtfertigt. Weil wir es so sagen.“ Wie die USA sich über UNO-Resolutionen und Verträge hinwegsetzen, zeigt der Autor in umfassenden Ana­lysen zum Thema Israel/Palästina. Auch die Rolle der USA in Kuba wird analysiert und eine endlose Reihe alter und neuer Konflikte weltweit. Wer denkt – um ein Beispiel zu nennen – heute noch an das Guatemala von Rios Montt?

US-Panzer nahe der russischen Grenze

US-Panzer nahe der russischen Grenze

Chomsky nimmt das Pressefoto einer guatemaltekischen Frau mit Kind am Muttertag 2013 zum Anlaß für einen Exkurs über die jahrzehntelange Einmischung der Vereinig­ten Staaten in Mittelamerika, macht einen Schlenker zum weltweiten „Netzwerk an Vasallenstaaten“ und schlägt den Bogen zum zehnten Jahrestag der US-Invasion im Irak. Womit wir bei einem weiteren Themenkreis wären.

Der Angriffskrieg

Worte, die man wiederholen muß, bis sie in das Bewußtsein der Öffentlichkeit Ein­gang finden! Eine Forderung des Autors, die er an verschiedenen Stellen in ähnlicher Formulierung wiederholt. Es geht um den Angriffskrieg, nach dem Urteil des Nürn­berger Prozesses „das schlimmste internationale Verbrechen, das sich von den anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, daß er das ganze Übel in sich vereint“. Die amerikanisch-britische Invasion gegen den Irak sieht Chomsky als Paradebeispiel für einen Angriffskrieg. Er läßt den Irak-Experten Raed Jarrar sagen, „was wir im Westen wissen sollten“: daß die Aggressoren die irakische nationale Identität zerstört und sie durch religiöse und ethnische Identitäten ersetzt hätten. Chomsky selbst äußert sich vorsichtiger zum Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten: „Die Wurzeln dieses Konfliktes innerhalb des Islam sind zahlreich und mannigfaltig, doch es ist nicht zu leugnen, daß die Invasion der USA und Großbritan­niens … dieses Schisma erheblich verschärft hat.“ Das „weltweite Drohnen-Mordpro­gramm von Präsident Obama“ bezeichnet der Autor als „die mit Abstand größte terroristische Kampagne zur Erzeugung von Terror“. Er spricht von „Aufstands­mathematik“: mit jedem unschuldigen Menschen, den man töte, bringe man zehn neue Feinde hervor.

Von Chomsky sind keine billigen Lösungsvorschläge zu erwarten. Seine Reden sind Analysen und Warnungen. Sie sind getrieben von einem zutiefst menschlichen Anlie­gen: daß wir unsere „Allmende“ (gemeinsam genutztes Gemeindegut, RF) mit unge­heurer Anstrengung verteidigen mögen. Der Lesegenuß entsteht durch die Schärfe und Aktualität der Analyse, durch die Erkenntnis von ungeahnten Zusammenhängen. Durch die Hoffnung, die denkende Menschen – bewußt oder unbewußt – verbreiten.

Aus „Unsere Welt“, 1/2017, Basel

Noam Chomsky:

Weil wir es so sagen
Texte gegen die amerikanische Weltherr­schaft im 21. Jahrhundert

Promedia, Wien 2015, 208 Seiten
ISBN 978-3-85371-393-8

17,90 €