RotFuchs 203 – Dezember 2014

„Olle Kamellen“ – neu aufgewärmt

Jobst-Heinrich Müller

Als bei den niedersächsischen Landtagswahlen 2008 eine außergewöhnliche Protestwelle empörter Bürger der Partei Die Linke zur Verblüffung ihrer Gegner 7,1 % aller abgegebenen Stimmen und damit eine stattliche Landtagsfraktion bescherte, erfanden die professionellen Rufmörder in gewissen Redaktionen die „Affäre Christel Wegner“. Eine Äußerung der auf der PDL-Liste gewählten DKP-Politikerin wurde grob verfälscht. Man unterstellte der Kommunistin, sie habe sich in einem Interview für die „Wiedereinführung der Stasi“ ausgesprochen. Doch der Versuch, linken Kräften das Wasser abzugraben, fiel den Urhebern der Kampagne damals auf die Füße. Was folgte, war Friedhofsruhe: Die Aktivitäten der Landtagsfraktion der Partei Die Linke wurden regelrecht totgeschwiegen, obwohl sie Christel Wegner nicht zu den Ihren rechnete.

Man verfolgte einzelne Mandatsträger polizeilich oder unterstellte ihnen Skandale. 2008 wurde der Abgeordnete Patrick Humke wegen angeblicher „Tätlichkeiten“ bei einer Schülerdemonstration derb ins Visier genommen. Nicht anders erging es dem profilierten Kunstschaffenden und PDL-Politiker Dr. Dieter Dehm, der im Juni 2009 wegen der „Schimpfwort“-Affäre bei einer Greenpeace-Aktion vor dem Landtagsgebäude zur Zielscheibe medialer Diffamierung wurde. Vor allem aber ging es darum, die Linksfraktion bei der nächsten Landtagswahl verschwinden zu lassen, was auch klappte: Durch den Verlust eines großen Teils von Protestwählern mußte die PDL das Feld ebenso schnell wieder räumen, wie sie es besetzt hatte.

Wer nun allerdings meint, mit diesem „Triumph“ hätte die Verfolgung linker Systemkritiker in Niedersachsen ihr Ende gefunden, wurde spätestens am 19. September eines Besseren belehrt. Als Wochenthema der feuilletonistischen Regionalsendung „Hallo Niedersachsen“ wurde einmal mehr der „Stasi-Popanz“ strapaziert. Der tiefe Griff in die Mottenkiste des Hubertus Knabe, der erfolgreiche Kundschafter des MfS an den Pranger stellen wollte, erwies sich als Fehlschlag. Nach Edward Snowdens Enthüllungen über das gigantische Ausmaß westlicher Totalüberwachung und die parallelen Machenschaften bundesdeutscher Geheimdienste wirken die früher angestellten Behauptungen zur Dimension des MfS geradezu lächerlich.

Ziel der jüngsten Attacke war wiederum Dieter Dehm, der bereits als Redakteur einer Schülerzeitung inhaftiert worden war und anschließend jahrelanger Bespitzelung durch die entsprechenden Organe der BRD unterlag. Seit dessen 18. Lebensjahr füllte der Verfassungsschutz ganze Folianten mit Berichten über ihn. Inzwischen sind es bereits vier Bände.

Jetzt werden „olle Kamellen“, die jeden Geschmack verloren haben, wieder aufgewärmt. Erneut wurde behauptet, Dehm, der damals noch SPD-Mitglied war, sei bis 1978 „IM“ des MfS im „Kulturbetrieb der Bundesrepublik“ gewesen. Nach dessen Wiederaussiedlung aus der DDR habe er als beruflicher Promoter Wolf Biermanns über den professionellen Querulanten und notorischen Antikommunisten, dem mangels weiterer Nützlichkeit ein erhoffter Aufstieg im Westen nicht so recht gelingen wollte, interne Berichte geliefert. Von Biermann stammt, wie Gisela Steineckert in der Mai-Ausgabe 2014 des RF wissen ließ, der Ausspruch, in der Politik sei „Verrat ein Mittel wie jedes andere“. Obwohl es an Beweisen mangelt, wurde ausgerechnet auf Biermanns Bezichtigung zurückgegriffen, um Dieter Dehm in Verruf zu bringen. Der habe ihm „gestanden“, von der „Stasi“ auf ihn angesetzt worden zu sein, hüstelte Biermann in ein Mikrophon. Die Moral von der Geschicht‘: Trotz juristischer Teilerfolge im Bemühen um ein Ende der geheimdienstlichen Bespitzelung von Abgeordneten der PDL geht das Spiel mit gezinkten Karten weiter.

Dabei eröffnen gewisse Erklärungen, die DDR sei ein „Unrechtsstaat“ gewesen, der Diffamierung all jener neue Spielräume, die prinzipielle Kritik am kapitalistischen System zu üben wagen.