RotFuchs 190 – November 2013

Prof. Buchholz legt den Kinkels die Karten

RA Ralph Dobrawa

Der namhafte DDR-Strafrechtler Prof. Dr. Erich Buchholz hat sich während der zurückliegenden Jahre in zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit der bundesdeutschen Justiz und deren Rechtsprechung auseinandergesetzt. 2012 legte er unter dem Titel „Der dritte Akt der Totalliquidierung – Rechtsbrüche und Unrechtsurteile am laufenden Band“ eine weitere eindrucksvolle Schrift vor. Wie sich aus dem Untertitel „Die justitielle Verteufelung der DDR durch rechtswidrige Strafverfolgung ihrer Bürger – erneute Auflage eines ‚Staates ohne Recht‘“ ergibt, befaßt sich der Autor mit den Willkürprozessen gegen ehemalige Angehörige der Grenztruppen, Richter und Staatsanwälte. Das im Untertitel erwähnte Buch „Staat ohne Recht“, an dem Erich Buchholz als Verfasser mitwirkte, erschien 1959 in der DDR. Auch damals beschäftigte sich der spätere Leiter des Strafrechtsinstituts der Berliner Humboldt-Universität mit der bundesdeutschen Klassenjustiz. Seine 2012 erschienene Schrift, von der hier die Rede ist, setzt diese Polemik – bezogen auf den Zeitraum nach 1990 – fort. Buchholz enthüllt die „politische Funktion der rechtswidrigen Strafverfolgung von DDR-Hoheitsträgern“. Er stellt fest, daß dieser Personenkreis auf der Grundlage von DDR-Recht korrekt gehandelt hat, was eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschließt. Nur wenn diese gegeben gewesen wäre, hätte nach dem 3. Oktober 1990 ein Strafverfolgungsanspruch bundesdeutscher Justizorgane bestanden. Unter Verstoß gegen das im Artikel 103 Abs. 2 des Grundgesetzes geregelte Rückwirkungsverbot, wonach eine Handlung nur dann bestraft werden kann, „wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“, verhängte die BRD Urteile mit zum Teil empfindlichen Strafen. Das entsprach dem zum Rechtsbruch auffordernden Appell des damaligen BRD-Justizministers Klaus Kinkel, der auf dem 15. Deutschen Richtertag 1991 gefordert hatte, „das SED-Regime zu delegitimieren“.

Bereits in dieser Aufforderung sieht Erich Buchholz die Richtung, die der angeblich unabhängigen Justiz vorgegeben werden sollte. Hinzu kam, daß nahezu ausnahmslos bundesdeutsche Richter und Staatsanwälte an den Verfahren gegen DDR-Hoheitsträger mitwirkten, die über keine Kenntnisse des DDR-Rechts verfügten. Diese aber wären, wenn eine Strafbarkeit nach ihm vorgelegen hätte, dringend erforderlich gewesen. Buchholz beanstandet darüber hinaus, daß in den Prozessen kein einziger DDR-Hochschullehrer als Sachverständiger zugelassen wurde, um das dem Gericht fremde Recht zu erläutern und zu vermitteln.

Ausführlich setzt sich der Autor mit „Formen und Methoden der Verdrehung und Entstellung des hier maßgeblichen DDR-Rechts bei der rechtswidrigen Strafverfolgung von Angehörigen der Grenztruppen der DDR“ auseinander.

Abschließend befaßt sich Prof. Buchholz mit den eigens für DDR-Bürger eingeführten Sonderverjährungsbestimmungen. Er gelangt zu der Bewertung, daß in dem gegen sie gerichteten Verjährungsgesetz von 1993 eine erhebliche Verschlechterung gegenüber der Behandlung faschistischer Straftäter vorliegt, in dem es nicht nur „eine fast zehnmal so lange Zeit“, sondern auch „eine rückwirkende Wiedereröffnung nach bereits eingetretener Verjährung vorsieht, die bei NS-Verbrechen nachdrücklich ausgeschlossen wurde“. Und: „Ein so krasser Unterschied in der Behandlung von NS-Verbrechern einerseits und DDR-Bürgern andererseits hat nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun und ist ausschließlich politisch erklärbar“, stellt Erich Buchholz fest.

Hier äußert sich jemand, der sich in den juristischen Materien beider Staaten bestens auskennt. Der Autor hat die Entwicklung und Entstehung des sozialistischen Strafrechts maßgeblich mitgeprägt, bis auch er neben vielen anderen verdienstvollen Hochschullehrern von der Humboldt-Universität verjagt wurde. Nach 1990 hat Prof. Buchholz viele Jahre als Rechtsanwalt die von der BRD betriebene politische Strafverfolgung in der Praxis miterlebt und ihr im Sinne der von ihm vertretenen Mandanten Widerstand entgegenzusetzen versucht. Das Buch ist eine komprimierte Orientierungshilfe für all jene, welche die Prozesse gegen DDR-Hoheitsträger nach 1990 politisch wie juristisch einordnen wollen.

Erich Buchholz:

Der dritte Akt der Totalliquidierung –
Rechtsbrüche und Unrechtsurteile am laufenden Band

GNN-Verlag Schkeuditz, 2012
ISBN 978 3 89819 386 3

13,00  Euro