RotFuchs 189 – Oktober 2013

Rote Mehrheit in Lettlands Metropole Riga

RotFuchs-Redaktion

Gemeinhin besteht hierzulande die Vorstellung, überall in den einstmals zur UdSSR gehörenden baltischen Republiken Lettland, Estland und Litauen herrsche uneingeschränkt die finsterste Reaktion. Alarmierende Bilder von Aufmärschen der Traditionsverbände ehemaliger SS-Angehöriger trugen zu einer solchen Vorstellung bei. Sie widerspiegelt indes nur einen Teil der Realität im Baltikum, wo sich NATO und EU eingenistet haben. In Lettland, das von einer rechtsgerichteten Koalition aus Nationalisten und Liberalen regiert wird, ticken die Uhren anders als bei den Nachbarn. Eine wachsende Zahl der 1,9 Millionen Landesbürger – 56 % von ihnen sind Letten, 44 % ethnische Russen – läßt sich von linken Wertvorstellungen leiten. Seit der letzten Wahl wird die Landeshauptstadt Riga durch eine in diese Richtung tendierende Koalition – das „Zentrum der Harmonie“ – regiert. Zu ihr gehört auch die Sozialistische Partei Lettlands (SPL), in der sich nach dem Verbot ihres traditionellen Namens die Kommunisten zusammengeschlossen haben.

Der SPL-Vorsitzende Alfred Rubiks – einst Führungsmitglied der KPdSU – war von 1984 bis 1990 Rigas Oberbürgermeister. Von 1991 bis 1997 befand er sich in politischer Haft, da er sich geweigert hatte, seiner marxistisch-leninistischen Weltanschauung abzuschwören und vor den Dienern des Kapitals einzuknicken. Heute ist Genosse Rubiks Abgeordneter des Europaparlaments. In Riga vermochte das „Zentrum der Harmonie“ 39 der 60 Sitze in der Kommunalvertretung zu erobern. Seit vier Jahren sind so auch die Kommunisten der SPL in die Stadtverwaltung fest eingebunden. Bei den jüngsten Wahlen gelang es dem Zentrum, seinen Stimmenanteil in Riga von 34,6 % auf 58,5 % zu steigern, obwohl derzeit 345 000 erwachsene Bürger Lettlands – es handelt sich überwiegend um Russischsprachige – aufgrund diskriminierender Maßnahmen der Regierung an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert werden.

Der Rigaer SPL-Stadtrat Iwanow verwies gegenüber der belgischen PTB-Wochenzeitung „Solidaire“ auf einige vorrangige Anliegen der Rigaer Stadtväter. Das Budget werde weitgehend für soziale Zwecke eingesetzt, ließ er wissen. So seien im laufenden Jahr bereits 700 weitere Wohnungen für Einkommensschwache geschaffen worden. Ein großer Teil der Rigaer könne die hohen Mieten selbst nicht aufbringen. Das gelte besonders für Erwerbslose und Rentner. Es handle sich dabei um Haushalte, deren monatliche Bezüge unter 128 Euro lägen. Sie erhielten von der Stadt einen Mietzuschuß. Jedes Jahr entstünden etwa 1000 neue Sozialwohnungen.

Privatisierungen und andere Maßnahmen der Regierung hätten zur Schließung von Krippen, Kindergärten und Schulen geführt. 2012 sei daher als erster Schritt von der linken Stadtexekutive ein neues Zentrum für 120 Kinder eingeweiht worden, ließ Iwanow wissen. Ein zweites mit einer Kapazität von 200 Plätzen befinde sich im Bau.

„Im Vorjahr haben wir in sämtlichen Schulen Fenster und Türen erneuert. Zahlreiche Wohnungen, in denen bisher Holz und Kohle verfeuert wurden, konnten an die Zentralheizung angeschlossen werden. Wir haben die Lehrergehälter um 71 Euro erhöht. Seit September 2012 können Rigas Studenten, Arbeitslose und Rentner sämtliche städtischen Verkehrsmittel kostenlos nutzen“, bilanzierte der SPL-Stadtrat.

Übrigens hat das „Zentrum der Harmonie“ auch in anderen lettischen Städten beachtliche Wahlergebnisse einfahren können. In Daugavpils erzielte seine Liste 23 %, in Jelgava 20 % und in Liepaja 16 %. Im Nationalparlament stellt es 31 der 100 Mandatsträger. Es bildet die stärkste Fraktion, ohne der reaktionären Zentralregierung damit das Wasser abgraben zu können.

Aber auch diese hat auf ihre Weise gepunktet: Die Bezüge der im öffentlichen Dienst Tätigen wurden um 40 % gekürzt, das Mindesteinkommen um 15 % und die Renten sogar bis zu 70 % herabgesetzt. Heute lebt die Hälfte der Letten in Armut, während die Zahl arbeitsloser Jugendlicher dramatisch emporgeschnellt ist.

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel