RotFuchs 193 – Februar 2014

Wie man Springers Konzernchef
für Linke salonfähig machen wollte

Trauerspiel im Deutschen Theater

Klaus Steiniger

Gregor Gysi – die Nr. 1 der Linkspartei für Talkshows und Parlamentstribünen – hat seine Fans schon so einige Male in Schwierigkeiten gebracht. Man denke nur an sein frappierend volksnahes, vor allem Hartz-IV-Bezieher motivierendes Wahlplakat „Reichtum für alle!“ oder auch an seinen auf eigene Initiative erfolgten zweistündigen Besuch beim Berliner US-Botschafter, von dem die staunende Welt nur dadurch etwas erfuhr, daß die Enthüllungsplattform Wikileaks mit geheimen Depeschen unzähliger anderer Diplomaten an das State Department auch den Bericht seines Filialleiters an der Spree ins Internet stellte.

Wer glaubte, daß derlei nicht noch zu toppen wäre, unterlag einem Irrtum. Das Trauerspiel, das der Selbstinszenierer Mitte November 2013 auf der Bühne des Berliner Deutschen Theaters bot, stellte alles Bisherige weit in den Schatten. Gregor Gysi – er hatte schon im Dezember 1989 beim Sonderparteitag in der Dynamohalle den Designer des Revisionismus Eduard Bernstein, Lenin ersetzend, unter die ideologischen Väter der damaligen SED-PDS eingereiht – begrüßte an jenem Tag einen besonders illustren Gast. Sein Gegenüber beim „Small Talk“, wie Briten und Amerikaner substanzloses Plaudern nennen, war kein anderer als der Springerkonzernchef Mathias Döpfner. Im Rahmen der Reihe „Gregor Gysi trifft Zeitgenossen“ genoß der Einladende dessen Gegenwart.

Bei der Lektüre des nun Folgenden werden redliche Mitglieder der Linkspartei – und sie bilden deren übergroße Mehrheit – vermutlich den Atem anhalten. Denn tiefer kann man bei der Auswahl eines Gesprächspartners wohl kaum sinken.

Doch gemach: War Gysis Entscheidung für den obersten Springer-Mann bereits der Griff in eine äußerst anrüchige Kiste, so wurde dieser Vorgang durch die ND-„Würdigung“ des makabren Geschehens aus der Feder von Hans-Dieter Schütt (hds) noch ins Maßlose gesteigert. Unter der Überschrift: „Teppichhändler und Schöngeist“ ließ die „Sozialistische Tageszeitung“ ihren pensionierten Alles-und-immer-Schreiber einmal mehr wortgewaltig aus dem vollen schöpfen. „Der Sinn dieser Gesprächsreihe ist Annäherung, der Kern der Befragungen liegt im Verständnis, das Resultat – so ganz sonntagsmorgengemäß – könnte Revision sein: der Vorurteile und Ressentiments“, schrieb hds einleitend. Er verallgemeinerte sein Verständnis für die Wirksamkeit der täglich Millionen verabreichten Giftdosis aus vier großen Buchstaben, indem er „das Geschäft mit dem Niedersten“ zum Allernormalsten erklärte. „Es stimmt …, daß wir neugierig auf Klatsch und Tratsch sind, was Entspannung und Lust auf ungehemmte Primitivität einschließt, weil etwas nicht aus den Menschen herauszutreiben ist: die Gier nach dem Halbseidenen, dem Schlüpfrigen, dem Derben, dem Dolldreisten, dem Glitzer und der Gala, dem Bunten und dem Blöden.“ Mit dieser Sicht auf den Menschen – Maxim Gorki hatte bekanntlich eine absolut konträre Vorstellung von ihm – zeigt Schütt einmal mehr, wes Geistes Kind er ist. Er verdeutlicht zugleich, wen Gregor Gysi da im anderen Sessel hat Platz nehmen lassen.

Herr Döpfner, vom Jahrgang 1963 und seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-AG, durch Schütt nicht ohne Wärme als „souveräner Schlaks aus Bonn“ ins Spiel gebracht – erhielt noch ein anderes Zückerli zugesteckt. Es heiße, er sei „der Zögling der Springer-Witwe“ gewesen, weil er blaue Augen habe und so gut Chopin spiele, goß auch Gysi Honig auf sein Gegenüber. Und Schütt, der als aufstiegsbewußter DDR-Karrierist auch einmal Chefredakteur der „Jungen Welt“ war, überschlug sich geradezu: Man könne sich Döpfner als Chefredakteur gut vorstellen „so, wie ein Chefredakteur sein muß“, liebkoste er verbal den Oberkanonier der Dreckschleuderbatterien des Hauses Springer.

Natürlich verteidige Döpfner den Konzern, enthüllte Schütt etwas völlig Neues. Er ließ seine Leser dann wissen: Günter Grass hätte – wie Gregor Gysi im DT – betont, der jetzige sei „von allen bisherigen Springer-Chefs der Libertärste“. Und zu Döpfners „Wochenpost“-Karriere fügte der Toprenegat des ND allwissend hinzu, es habe sich dabei um ein Blatt gehandelt, „das zu DDR-Zeiten durchaus Subversivität ausstrahlte“. Döpfner habe als dessen zeitweiliger Chef nach der Devise „Bewahren, beruhigen und befeuern“ gehandelt.

Doch am Ende fanden Springers Konzernboß und Gregor Gysi, der einst in etwas Marxismus kurz und leicht gebadet wurde, sich inzwischen aber längst abgetrocknet hat, etwas enorm Verbindendes. Schütt kommentierte Döpfners Part in deren „kurzem Gespräch über den Sozialismus“ folgendermaßen: „Daß man ihn als Vorstellung in Geist und Gemüt haben und halten“ könne, betrachtet dieser als „natürliches Streben … Eine gerechte Welt wollen wir alle.“ Doch das Wesen des Menschen …

Gysi habe bei dieser Gelegenheit „ein kleines Ungemach eingestanden“. Das noch immer von nicht wenigen ehrlichen Linken für schweres Kaliber gehaltene ideologische Leichtgewicht habe darüber geklagt, „daß Linken das Boulevardeske überhaupt nicht gelingt. Die Militanz der Ernsthaftigkeit, die Verklemmtheit in Genüssen“ stünden dem im Wege. „Zu vielem am Menschen“ werde „nur funktionale Bedeutung fürs Weltverändernde beigemessen“, meinte Gysi.

Der träume von einer „linken Boulevard-Zeitung“, schrieb hds. Hatte er sich deshalb den Spezialisten von „Bild“ auf die Bühne geholt? Diese „mediale Gattung“ – so belehrte ihn Döpfner – könne „man wohl kaum in rechts oder links einteilen“. Und ND-Autor Schütt ließ den Springer-Star „mit der entschiedenen Kühle des Strategen, der nicht nur wittert, sondern weiß“, von der Zukunft des Zeitungsmachens „schwärmen“.

„Wir werden einander nicht los, und dabei soll es bleiben“, sagte Gysi, der sich sonst überall als Sozialist darstellt, am Ende des Plauderstündchens. Auch hier half Schütt: Er meine damit „die Medaille und deren Kehrseite“.

Zwischen dem Appell des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels, keinen Meter Boden an den Klassenfeind abzutreten, und Lenins kühner Weitsicht auf der einen, dem Trauerspiel im Deutschen Theater auf der anderen Seite liegen Welten.

hds zeigte sich im Resümee seiner schmählichen Huldigung voll zufrieden: „Auftrag erfüllt: Verständnis, Annäherung. Im Schlußapplaus steht – sehr jungenhaft – ein Gewinner. Im Frieden mit seinem Geschäft: Auf weichen Teppichen, fernab des höheren Sinnes, wird auch der größte Schöngeist irgendwann müde.“

Bedarf es noch eines weiteren Kommentars? Ich gebe auf.