RotFuchs 226 – November 2016

WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG (Folge 5)

Über den internationalistischen Charakter der kommunistischen Weltanschauung

RotFuchs-Redaktion

Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige „Deutschlandsender“ (später umbenannt in „Stimme der DDR“) eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des „RotFuchs“ in einer Auswahl zur Verfügung stellen – inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir – auch mit dieser Serie – vermitteln.

Sendetermin: 22. November 1972

Die internationalen Klassenauseinandersetzungen haben bewiesen: Der Kapitalismus fürchtet die Einigkeit der Arbeiter wie der Teufel das Weihwasser. Ebenso sichtbar wurde aber auch: Die revolutionäre Arbeiterklasse braucht die Solidarität und den proletarischen Internationalismus wie die Luft zum Atmen.

Die kommunistische Weltanschauung, der Marxismus-Leninismus, ist die einzige Lehre, die diese Lebensgrundlage der revolutionären Arbeiterbewegung wissenschaftlich zum Ausdruck bringt. Wissenschaftlich ausdrücken, das heißt: Die kommunistische Weltanschauung klärt, daß der Internationalismus eine objektive Gesetzmäßigkeit, ein unabdingbar notwendiger, ein allgemein gültiger Wesenszug der revolutionären Arbeiterbewegung ist. Wirklicher Kommunist, konsequenter Revolutionär sein, das heißt, Internationalist sein. Freilich gilt auch umgekehrt: Echter Internationalist sein, die Schranken nationalistischer Borniertheit überspringen, die Interessen der Arbeiter aller Länder wirksam vertreten, das kann nur, wer sich zur kommunistischen Weltanschauung, also zum Marxismus-Leninismus bekennt.

Lenin-Denkmal in Donezk (2015)

Dieser Zusammenhang ist kein bloß theoretischer, ist kein Vorgang nur des Denkens oder gar des puren Meinens, sondern er hat eine praktische soziale Grundlage; er folgt aus den inneren Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft, er ist Konsequenz des gesetzmäßigen Befeiungskampfes der Arbeiterklasse. Und er ist unverzichtbare Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus und den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Ich komme hierauf noch zurück. Vorher sei erklärt, daß und warum gerade dieses internationalistische Prinzip unserer wissenschaftlichen Weltanschauung, dieses A und O aller Solidarität und Einigkeit der Arbeiterklasse von unseren Feinden so wütend bekämpft und so übel verleumdet wird.

„Divide et impera“, „Teile und herrsche!“ – so lautet die Faustregel, nach der die herrschenden Ausbeuterklassen seit eh und je vorgingen, um den Widerstand der unterdrückten Volksmassen zu brechen. Und wenn es den Sklavenhaltern im antiken Rom, den Feudalherren des Mittelalters, den kapitalistischen Unternehmern der Neuzeit immer wieder gelang, Aufstände der Sklaven, Rebellionen der Bauern, Erhebungen der Proletarier gegen ihre Ausbeutung durch eine winzige Minderheit von Privateigentümern blutig niederzuschlagen, dann nicht zuletzt deshalb, weil die Ausbeuter es fertigbrachten, die Reihen der Kämpfenden aufzuspalten, ihren Zusammenschluß zur einheitlichen solidarischen Befreiungsaktion zu verhindern.

Auch die geschichtlich letzte Ausbeuterklasse, die Monopolkapitalisten, die Konzerngewaltigen, die Bankherren, die Rüstungsmilliardäre lassen nichts unversucht, um der Einheitsfront des antiimperialistischen Kampfes, der Aktionseinheit der kommunistischen Weltbewegung, dem Prozeß der allseitigen Integration der sozialistischen Staatengemeinschaft entgegenzuwirken. Ein ideologisches Hauptinstrument ist dabei das Gift des Nationalismus. Gepredigt wird die Nation als überhistorischer mystischer Wert. Es sollen Stimmungen nationalistischer Überheblichkeit und lokalpatriotischer Eigenbrötlerei geschürt werden. Man möchte Zwietracht und Hader nicht nur unter den jungen Nationalstaaten und in der sozialistischen Völkerfamilie, sondern auch zwischen den kommunistischen Parteien säen.

Gewiß war und ist die Entwicklung der Arbeiterbewegung zur weltumspannenden internationalistischen Aktionseinheit kein konfliktloser, glatter Weg. Die Feinde der Arbeiter fanden in Gestalt des Revisionismus, des Sozialreformismus, des Sozialdemokratismus und eben auch in Form der verschiedensten nationalistischen und chauvinistischen Ideologien Helfershelfer bei den Versuchen, den proletarischen Internationalismus zu unterminieren. Aber allen Spalterversuchen zum Trotz hat sich folgende Tendenz durchgesetzt: Aus einer kleinen Schar von einigen Hundert Kommunisten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelten sich in wenigen Jahrzehnten starke revolutionäre Arbeiterparteien. Die Leninsche Partei der Bolschewiki führte die revolutionären Arbeiter und Bauern im Roten Oktober des Jahres 1917 zum weltgeschichtlich ersten Sieg über die Macht der Kapitalisten und Grundbesitzer. 1922 wurde die Staatsmacht der ersten sozialistischen Völkerfamilie in der Weltgeschichte gegründet – die UdSSR. Mit ihrem Sieg über den Hitlerfaschismus und den japanischen Imperialismus im 2. Weltkrieg ist der Beginn einer neuen Periode des proletarischen Internationalismus verbunden, die Herausbildung einer sozialistischen Staatengemeinschaft.

Die theoretischen Wurzeln dieser praktisch-revolutionären Aufgabe und aller Siege der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung über die nationalistischen Spaltungsversuche reichen zurück bis in die Anfänge der wissenschaftlichen Weltanschauung. Schon sehr früh haben Karl Marx und Friedrich Engels wissenschaftlich präzis begründet: Der Kampf der Arbeiter um ihre Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung ist deshalb eine internationalistische, die Ländergrenzen überschreitende Bewegung, weil erstens die Arbeiter aller Länder die prinzipiell gleichen Lebensinteressen haben. Sie sind, noch ehe ihnen das bewußt wird, eine internationale, weltumspannende gesellschaftliche Größe. Wo immer sie leben mögen, wie unterschiedlich die technischen, geistigen, kulturellen Bedingungen ihres Lebens und Arbeitens sein mögen – was sie objektiv eint, ist ihre gleiche sozialökonomische Situation. Und zwar sind sie, bis sie die Ketten des Kapitals gesprengt haben, alle in der gleichen Klassensituation: Sie sind Lohnarbeiter, die – vom Besitz an Produktionsmitteln ausgeschlossen – ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen müssen. Sie werden unterdrückt, ausgebeutet, erniedrigt.

Zweitens ist die kommunistische Bewegung aber auch deshalb von Anbeginn eine internationalistische politische und geistige Strömung, weil das durch die sozialistische Revolution zu brechende Kapitalverhältnis, weil die kapitalistische Produktionsweise selbst als ein internationaler Prozeß besteht.

Obzwar die Nation zunächst ein Produkt des spezifisch bürgerlichen Emanzipationskampfes gegen den Feudalismus ist, insbesondere gegen dessen ökonomische und politisch-ideologische Hauptmacht, die katholische Kirche, besteht die bürgerliche Nation doch nur als ein Bewegungsraum des Kapitals. Sie ist in ihrem Wesen eine Organisationsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat. Und die Kapitalisten selbst verraten ihre eigne Nation, durchbrechen sofort ihre Schranken, sobald ihr Profitinteresse das gebietet. Die kapitalistischen Großunternehmen von heute sind vielfältig miteinander verfilzt, sie vereinigen sich zu internationalen Ausbeuterorganisationen. Kurz, der Kapitalismus selbst, der kapitalistische Weltmarkt und insbesondere der Monopolkapitalismus haben längst bewiesen, daß die Nation alles andere als ein über den Klassen und Klassenkämpfen stehendes Gebilde ist. Der Kapitalismus steht der Arbeiterbewegung als ein durchaus international organisierter Klassenfeind gegenüber.

Aus alledem folgt: Die wirklich konsequente, wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung muß immer auch in dem Sinne aufs Ganze gehen, daß sie nicht bloß diesen oder jenen Unternehmer bekämpft, der bürgerlichen Klasse nur eines einzelnen Landes den Kampf ansagt, sondern in all ihren Aktionen den – wenn man so will – internationalen Gesamtkapitalisten zu bändigen und zu schlagen versucht. Gewiß, und dies hat schon das „Kommunistische Manifest“ nachgewiesen: Die Arbeiterklasse muß zunächst einmal Herr im eignen Lande werden; sie zerschlägt den bürgerlichen Staatsapparat, erobert die Macht und organisiert sich zur herrschenden Klasse in ihrem Lande; sie wird damit zum sozialen Hauptträger und Gestalter einer gänzlich neuen, der sozialistischen Nation. Aber der hieraus erwachsende sozialistische Patriotismus ist gerade auch deshalb etwas geschichtlich ganz Neues, weil er auf das Innigste mit dem proletarischen Internationalismus verschmolzen ist. Das heißt, die Beziehungen von sozialistischen Nationen nehmen einen völlig veränderten Charakter an. An die Stelle der vom Profitstreben diktierten Herrschafts- und Unterdrückungsbestrebungen treten Beziehungen brüderlicher Verbundenheit und gegenseitiger Hilfe, die sich gründen auf

  • die gleiche sozialökonomische Basis, nämlich das gesellschaftliche Eigentum an der Produktionsmitteln
  • die gleiche Zielstellung, der von der Arbeiterklasse und ihrer Partei geleitete Aufbau des Sozialismus-Kommunismus
  • die gleiche weltanschauliche Grundlage, den Marxismus-Leninismus.

Drittens schließlich ist die kommunistische Bewegung deshalb seit ihren Anfängen eine internationalistische Bewegung, weil ihr oberstes Ziel die Befreiung aller arbeitenden Menschen ist, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu dieser oder jener Nation. Der Humanismus der kommunistischen Weltanschauung ist nicht zuletzt darum tiefer und umfassender als irgendeine ihm vorhergehende Strömung humanistischen Denkens, weil die Menschlichkeit, für deren Verwirklichung jeder Kommunist kämpft, reale Freiheiten für die übergroße Mehrheit bringt und das gesellschaftliche Schöpfertum aller arbeitenden Menschen freisetzt. Und daß dies – wiederum zum Unterschied von all den gutgemeinten oder auch bewußt verlogenen Weltverbesserungsplänen in Vergangenheit und Gegenwart – zur Realität wurde, dafür legten den Grundstein die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die Bildung der UdSSR.