RotFuchs 221 – Juni 2016

Über Kriegs- und Friedenslieder

Klaus Steiniger

Ende Dezember 1932 geboren, also noch vom allerletzten Aufgebot der Weimarer Republik, erlebte ich den Bombenterror in Berliner Luftschutzkellern. Ich erinnere mich des unablässigen Heulens der Sirenen und der schlotternden Angst, die ihr Klang auslöste, aber auch der auf die Roste vor den Fenstern des „Luftschutzkellers“ unseres von Bomben getroffenen Hauses herunterstürzenden brennenden Trümmerteile. Damals sang der Nazinachwuchs aus der Hitlerjugend das vom Größenwahn geprägte Lied mit dem Refrain: „Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Trümmer fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“ Obwohl im Text eigentlich nur von „hört“ die Rede war, brüllte man in den Marschkolonnen der HJ immer nur „gehört“.

Als endlich Frieden einzog und bei uns im Osten mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte – allerdings ohne Marshallplan-Hilfe – war ich, der Sohn eines Berliner Kommunisten und einer aus dem Rheinland stammenden Mutter, die immer SPD gewählt und erst im März 1933 erstmals ihr Kreuz bei der KPD gemacht hatte, sofort dabei, als etwas Neues entstehen sollte. Am 7. Oktober 1949, in der Geburtsstunde der DDR, saß ich als wohl jüngster Zuschauer im Steinsaal des späteren Hauses der Ministerien und konnte beobachten, wie mein Vater als Mitglied der Kulturbundfraktion der Provisorischen Volkskammer gemeinsam mit Arnold Zweig und Viktor Klemperer dem ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck per Handzeichen seine Stimme gab.

Damals eroberte das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube die Herzen aller. Ein anderer Text begann mit den Worten: „Das neue Leben muß anders werden als dieses Leben, als diese Zeit …“ Und zum Neubeginn gehörte die von Johannes R. Becher und Hanns Eisler geschaffene Hymne der DDR. Mit Inbrunst sangen wir deren Worte: „Glück und Friede sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland“. Und auch davon, daß dieses Deutschland allen Völkern die Hand reiche, war hier die Rede.

Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende. Jene, die ihre Geschwader im Verband der Air Force aus Übersee erst gegen Jugoslawien und dann gegen Afghanistan aufsteigen ließen und inzwischen nicht nur dort beim blutigen Geschehen weiter mitmischen, hatten ganz andere Lieder im Sinn und auf den Lippen als wir – die vom Grauen des 2. Weltkrieges geprägten Überlebenden, welche dem Bombenhagel gerade noch einmal entronnen waren.  Lieder widerspiegeln Hoffnungen und Sehnsüchte, Trauer und Schmerz. Sie sind Ausdruck der seelischen Verfaßtheit von Menschen. Sie werden von unter humanen wie inhumanen Bedingungen Lebenden gesungen und offenbaren das moralische Gepräge ihrer Zeit. Zwischen Kriegs- und Friedensliedern liegen Welten, klaffen Abgründe. Da ist es doch kein Wunder, wenn ich bekenne, Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR bei Becher und Eisler geblieben zu sein. Ja, Glück und Frieden sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland. Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand!

Auferstanden aus Ruinen

Auferstanden aus Ruinen
und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,
daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unsrem Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.

Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend,
steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne, schön wie nie
über Deutschland scheint.

Johannes R. Becher (1949)

Leben einzeln und frei

Sag, bist du bereit,
Dich mit aller Kraft zu wehren,
viele Kämpfe zu bestehn?
Du hast Mut genug,
willst du unsern langen, schweren
Weg gemeinsam mit uns gehn?

Oder willst du deine Kraft verschwenden
im Alleingang gegen eine ganze Welt,
um zum Schluß in traurigen Legenden
dazustehn als gescheiterter Held?

Leben einzeln und frei
wie ein Baum
und dabei
brüderlich wie ein Wald –
diese Sehnsucht ist alt.
Sie gibt uns Halt
in unserem Kampf
gegen die Dummheit, den Haß, die Gewalt.
Ihr Gefährten im Zorn,
ihr Gefährten im Streit,
mit uns kämpft die Vernunft und die Zeit.

Willst du mit uns gehen, dem Sieg entgegen?
Komm, wir haben keine Zeit, uns auszuruhn.
Nichts wird sich von selbst nach vorn bewegen.
Drum zählt doch nur das, was wir tun.

M. Vidalin / Hannes Wader (1982)
(nach einem Motiv von Nazim Hikmet)

Lied von der friedlichen Welt

Schau her, schau her!
So wär die Welt, wenn Frieden wär.

Sie wäre ein Garten mit Tauben und Wein,
und würde doch nie ein Schlaraffenland sein.
Sie wäre ein Garten mit blühendem Mohn.
Darunter läg nie ein gefallener Sohn.

Schau her, schau her!
So wär die Welt, wenn Frieden wär.

Sie wäre ein Berg in die Wolken hinein
und trotzdem nicht immer voll Sonnenschein.
Es bliebe den Menschen noch vieles zu tun.
Das Glück wüchse dann aus den Kinderschuh’n.

Schau her, schau her!
So wär die Welt, wenn Frieden wär.

Wir trügen statt Waffen nur Krüge aus Ton,
und unsere Welt würde wohnlich davon.
Wir gössen die Gärten statt Kugeln aus Blei,
und sängen auch Lieder von heute dabei.

Schau her, schau her!
So wär die Welt, wenn Frieden wär.

Hartmut König (1964)

Soldaten sind nicht alle gleich

Als die Kommune war in Paris,
da war Paris knallrot,
von Fahnen der Arbeitermacht
war das Paris knallrot.
Die Reaktion kam aus Versailles,
im Blut ersoff die Stadt,
und den Proleten, der sich wehrt,
erschlug der Frontsoldat.

Soldaten sind nicht alle gleich,
lebendig nicht
und nicht als Leich.

Im Jahre 1914 war
der Weltmarkt längst besetzt.
Der Kaiser und der Krupp, die ham
das Volk in’ Krieg gehetzt.
Matrosen aus dem roten Kiel,
die schrien: Dem Volk die Macht!
Die Noskesoldateska
hat sie feige umgebracht.

Soldaten sind nicht alle gleich …

Dann hat die große Industrie
den Hitler finanziert,
daß er selbst auf brutalste Art
sie aus der Krise führt.
Doch starb die Hitlerbarbarei
in Rußlands Eis und Schnee
und siegten die Soldaten
der Roten Sowjetarmee.

Soldaten sind nicht alle gleich …

Wolf Brannasky (1970)