RotFuchs 206 – März 2015

Bemerkungen zu Politik und Strategie einer Supermacht

USA und Eurasien

Dr. Wolfgang Bittner

Daß die USA und die Europäische Union der laut gewordenen Kritik an ihrer Ostpolitik nicht lange tatenlos zuschauen würden, war absehbar. Jetzt soll Gegenpropaganda stattfinden, offiziell verordnet und finanziert. So ist u.a. in Lettland ein „unabhängiger“ TV-Sender geplant, der ein Gegengewicht zur „russischen Propaganda“ bilden und in russischer Sprache „ausgewogene Informationen und Nachrichten“ produzieren soll.

Der informierte Bürger reibt sich die Augen. Denn schon seit Jahren, und verstärkt seit Beginn der Ukraine-Krise, wird von westlicher Seite bereits eine antirussische Propaganda betrieben, die einem der Wahrheit verpflichteten Journalismus Hohn spricht. Da ist von dem neuen „russischen Zaren“ Wladimir Putin die Rede, der das „sowjetische Imperium“ wiedererrichten will, den Bürgerkrieg in der Ukraine zu verantworten hat und die baltischen Staaten wie Polen bedroht.

Wir erinnern uns noch: „Stopt Putin jetzt!“ lautete ein „Spiegel“-Titel, von „prorussischem Mob“ (Spiegel Online, ARD-Tagesschau) in der Ostukraine und „Moskaus Kriegshetze“ („Bild“-Zeitung) wurde berichtet, in der „Welt“ erinnerte „die Ruchlosigkeit der Putin-Propaganda erschreckend an die Hochzeiten des Stalinismus“. Provokationen, Hetze und Drohungen auf westlicher Seite und lautstarke, haßerfüllte Entrüstung, wenn Rußland antwortet.

Inzwischen kann als erwiesen gelten, daß die Ukraine-Krise eine Inszenierung ist, vorbereitet schon lange vor der Maidan-Bewegung durch subversive Einflußnahme westlicher Geheimdienste, insbesondere der CIA. Als Ziel dieser westlichen Strategie einer Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung zeichnet sich immer mehr ab, Osteuropa einschließlich Rußlands den westlichen Kapitalinteressen aufzuschließen und den imperialen Zielen der USA unterzuordnen. Putin wird niedergemacht, und schon des längeren wird daran gearbeitet, Rußland als Machtfaktor in der internationalen Politik auszuschalten und auch in Moskau einen Machtwechsel herbeizuführen. Wer sich nicht beugt, wird bekanntlich entweder bombardiert oder ruiniert.

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Rußland soll durch Wirtschaftssanktionen, Beeinflussung der Kapital- und Energiemärkte sowie die immensen Aufwendungen für Nachrüstung in die Knie gezwungen werden. Europa ist wieder durch einen Eisernen Vorhang geteilt, die NATO marschiert gen Osten, und die USA sind dabei, das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) durchzusetzen, das Westeuropa zu einem Vasallengebiet verkommen ließe.

Schon im Herbst 2014 gab das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bekannt, wie sehr deutsche Unternehmen unter den auf Betreiben der USA gegen Rußland verhängten Wirtschaftssanktionen leiden. Das bilaterale Handelsvolumen, das bereits 2013 um fünf Prozent einbrach, ging im ersten Halbjahr 2014 erneut um 6,3 Prozent zurück; die deutschen Exporte nach Rußland schrumpften um 15,5 Prozent. Weitere unübersehbare Belastungen werden folgen. Hinzu kommt, daß Rußland Deutschlands größter Energielieferant ist, was bei einer weiteren Verschärfung der Konfrontation sicherlich eine Rolle spielen wird. Aber dazu ist aus Politikerkreisen noch nichts zu vernehmen.

Der US-Politikwissenschaftler polnischer Abkunft Zbigniew Brzezinski, der 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ die geopolitische Strategie der USA nach dem Untergang der Sowjetunion entwickelt hat, schrieb seinerzeit: „Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.“ Für die einzige Supermacht USA sei – so Brzezinski – Eurasien „das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“. In diesem Kontext ist die Äußerung Henry Kissingers am 2. Februar 2014 in einem CNN-Interview zu sehen, wonach der Regimewechsel in Kiew eine Generalprobe für das sei, „was wir in Moskau tun wollen“.

Diese verbrecherische Machtpolitik wird von vielen Menschen immer mehr durchschaut, nimmt ihnen die Ruhe und läßt sie aufbegehren. Es scheint so, daß die tragischen Terroranschläge von Paris, die zu einem europäischen 11. September potenziert werden, gerade zur rechten Zeit kamen, um Gesetzesverschärfungen zu fordern und den Überwachungsstaat weiter auszubauen. Ein trauriger Anlaß, aber die kürzlich in Mexiko abgeschlachteten 43 Studenten, die 48 ermordeten Demonstranten in Odessa oder Tausende von der Boko-Haram ermordete Nigerianer waren kaum einen Leitartikel wert.

Das gibt zu denken und verstärkt die ohnehin schon vorhandenen Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit der Politiker und der sogenannten Qualitätsmedien. Der Propagandakrieg nicht nur gegen Rußland, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung, nimmt Monat für Monat zu. Der ehemalige OSZE-Vizepräsident und Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Willy Wimmer, ist der Ansicht: „Europa soll wieder fit gemacht werden für einen Krieg.“ Was ist in dieser Situation davon zu halten, wenn Staatsoberhäupter – darunter Petro Poroschenko – in Paris Arm in Arm gegen einen terroristischen Anschlag demonstrieren, anstatt für Frieden zu sorgen, und wenn korrumpierte Journalisten für die Meinungs- und Pressefreiheit eintreten?

Man mag die Ungeheuerlichkeiten, mit denen wir konfrontiert werden, kaum glauben. Wer zweifelt, wird als „Putin-Versteher“, „Russenfreund“, „Antiamerikaner“ oder „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert. Aber es ist die Realität, unsere Realität. Die Frage stellt sich: Sind wir diesen kriminellen Akteuren, die zum Teil tatsächlich der Auffassung sein mögen, Gutes für die Menschheit zu tun, die aber in erster Linie für sich, ihre Karrieren und ihre Vermögen sorgen, wirklich hilflos ausgeliefert? Oder finden wir einen Ausweg, ehe es zu spät ist?