RotFuchs 203 – Dezember 2014

USA: Wo man Waffen
wie Brötchen kaufen kann

RotFuchs-Redaktion

In den Vereinigten Staaten gibt es derzeit 270 Millionen Schußwaffen in Privathand – 90 auf 100 Einwohner. Obwohl die USA im Waffenbesitz pro Kopf der Bevölkerung sogar noch von der Schweiz ausgestochen werden, behaupten sie in anderer Hinsicht souverän den Spitzenrang: Nirgends ist die Zahl der Todesopfer durch Waffeneinsatz so hoch wie in den USA.

Michael Moore ging in seinem Film „Bowling for Columbine“ davon aus, die Ursache der ständigen Schießereien zwischen Zivilisten sei vor allem im krankhaften Verfolgungswahn zu suchen, der jeden Aspekt des Lebens der Amerikaner durchdringe, wobei sie sich dessen gar nicht bewußt seien. Doch Paranoia allein ist als Begründung dafür unzureichend, daß es in den USA jährlich etwa 40 000 „Schußwaffen-Tote“ gibt, von denen 12 000 Ermordete sind.

Im Jahre 1963, als die US-Bürgerrechtsbewegung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden zwei schwarze Jugendliche von einem rassistisch gestimmten Mob angegriffen. Sie suchten in einer Kirche Zuflucht, die daraufhin von der Menge mit samt den Teenagern niedergebrannt wurde. Beide fanden den Tod. Damals profilierte sich Martin Luther King durch die Worte: „Uns muß nicht nur die Frage besorgt machen, wer die jungen Leute ermordete, sondern wir sollten auch etwas über das System, die Lebensart und die Philosophie wissen, welche die Mörder hervorbrachten.“

Diese Art von „Philosophie“ führt dazu, daß die Lösung örtlicher wie territorial übergreifender sozialer oder ökonomischer Probleme in den USA oft genug unter dem simplen Motto: „Blast doch die Übeltäter weg!“ erfolgt. Aber nicht nur „gewöhnliche“ Bürger werden ermutigt, zur Waffe zu greifen, um sich selbst zu schützen.

Auch jede US-Regierungsbehörde oder deren Unterabteilungen handeln entsprechend. So schaffte z. B. das US-Landwirtschaftsministerium 40 halbautomatische Maschinengewehre an. Der US-Postdienst bat um Offerten für Munitionssortimente, um sein Arsenal an einsatzfähigen Handfeuerwaffen modernisieren zu können. Auch die Verwaltung der Sozialversicherung gab die Lieferung von 174 000 „Rounds“ eines als „Heiliger Punkt“ bezeichneten Munitionstyps in Auftrag, dessen pseudoreligiöser Name allein damit zusammenhängt, daß an der Einschußstelle beim Getroffenen ein großes Loch entsteht. Den Vogel in Sachen „Selbstschutz“ aber schoß die Nationale Verwaltung des Meteorologischen Dienstes der Vereinigten Staaten ab. Sie bestellte, statt sich ums Wetter zu kümmern, 46 000 Gurte Munition.

Doch die US-Regierungsbehörden kaufen keineswegs nur Waffen und Munition. Sie formieren auch eigene Einsatzkommandos für bürgerkriegsartige Situationen. Ist tatsächlich mit Anschlägen auf den Wetterdienst zu rechnen? Oder auf das Agrarministerium, das Amt für Eisenbahnpensionäre oder die Naturschutzbehörde? All diese Institutionen verfügen inzwischen über ganze Arsenale zur Ausrüstung ihrer paramilitärischen Sonderformationen.

Als Nikita Chruschtschow 1959 den Vereinigten Staaten einen offiziellen Besuch abstattete, zeigte er sich überzeugt, daß dieses Land überhaupt keiner Armee bedürfe, da ja die Polizei bereits über sämtliche Waffen verfüge, um den „Job“ des Heeres zu tun.

Ist es da ein Wunder, daß man bisweilen ganz durchschnittliche US-Bürger trifft, die beim Einkauf von Milch und Brötchen „für alle Fälle“ eine Maschinenpistole umgeschnallt haben? Im Jahr 2003 durchsuchten uniformierte und mit halbautomatischen Waffen ausgerüstete Beamte des US-Dienstes für Fischereiwesen und Wildhege die Wohnung eines gewissen George Norris und zwangen ihn, sich in seiner Küche aufzuhalten, während sie den Besitz des Hausherrn bis in den letzten Winkel inspizierten. Gegen den in Verdacht Geratenen lag „äußerst Schwerwiegendes“ vor: Ihm war Orchideen-Schmuggel zur Last gelegt worden, obwohl er die Pflanzen tatsächlich legal eingeführt hatte. Wie sich herausstellte, bestand sein Delikt lediglich in der nicht ganz vollständigen Ausfüllung eines Fragebogens.

Überreaktion? Zweifellos. Eine gefährliche Überreaktion? Auch das. Hätte George Norris in dieser Situation irgendwie unbedacht reagiert, wäre mit absoluter Gewißheit sofort geschossen worden.