RotFuchs 189 – Oktober 2013

Warum hat unser Bestes nicht gereicht?

Klaus Liebrenz

Immer wieder suchen Leser und Autoren des „RotFuchs“ nach den Ursachen für den Untergang der DDR. Oft stehen dabei zwei Thesen oder Fragen im Raum. Die erste: Wir haben doch immer unser Bestes gegeben, warum hat es nicht gereicht? Zweitens schwingt unterschwellig mit: Da muß doch noch etwas gewesen sein, das wir nicht kennen, weshalb es so schwer ist, unser Versagen richtig zu erfassen und zu bewerten.

Es existiert indes nichts Ominöses, wobei niemand bestreitet, daß die Kommunisten der DDR und deren Funktionäre auf dem steinigen Weg zum Sozialismus auch ernste Fehler begangen haben. Doch oft wird ausgeblendet, daß es sich erst um den Weg zum Ziel und noch nicht um einen ausgereiften Sozialismus gehandelt hat, den sich viele in revolutionärer Ungeduld und mit aufgerundeten Erfolgsmeldungen viel schneller erhofften. Was in 40 Jahren DDR erreicht worden ist, war das eigentliche Wunder. Das muß man sachlich feststellen. 40 Jahre sind in der Geschichte sehr wenig, wenn man die Entwicklung mit Menschen gestalten und vorantreiben muß, die überwiegend im Kapitalismus, ja sogar im Faschismus erzogen worden sind. Wer rückblickend diese Defizite betrachtet und aus heutiger Sicht nur die Schabowskis, Gorbatschows und ihresgleichen verantwortlich macht, überhöht den Stellenwert solcher traurigen Gestalten und vernachlässigt Ort, Zeit und Bedingungen des Geschehens. Überdies muß man sehr deutlich zwischen der Theorie des Sozialismus und dessen Gestaltern unterscheiden, die man keinesfalls miteinander gleichsetzen darf. Die Theorie ist nicht ad absurdum geführt worden, sondern bleibt weiterhin Richtschnur für das Handeln von Kommunisten, Sozialisten und anderen wahren Humanisten. Es wäre auch illusionär anzunehmen, daß Menschen auf diesem Weg in Zukunft keine Fehler mehr begehen werden.

Nicht wenige Deutsche haben nach der Niederlage des Hitlerfaschismus öffentlich zugegeben, sich fürchterlich geirrt zu haben. Unter den sogenannten Bürgerrechtlern gab es etliche, die das während und nach der Konterrevolution von 1989/90 eingestanden. Wir Kommunisten der DDR müssen das nach vierzig erfolgreichen Aufbaujahren nicht von uns sagen.

Manche Autoren und Leser des RF gehen davon aus, daß es derzeit hierzulande keine revolutionäre Situation gibt, weshalb wir von der Berechtigung einer solchen Annahme noch unendlich weit entfernt wären. Sie lassen dabei indes die Tatsache außer Betracht, daß eine revolutionäre Situation durch objektive wie subjektive Faktoren charakterisiert wird. Die objektiven Bedingungen entwickeln sich längst mit hoher Dynamik, während der subjektive Faktor – das die Revolution führende Potential – derzeit viel zu zerstritten und zu schwach ist, um solche Situationen nutzen zu können.

Die Geschichte hat indes tausendfach bewiesen: Wenn die Quantität der Entwicklung eine neue Qualität erfordert, findet der Protest auch seine Führer. Das geschieht im positiven wie im negativem Sinne.

Viele Leser empören sich in ihren Briefen an die Redaktion darüber, wie schamlos die DDR madig gemacht und verunglimpft wird. Doch was haben sie denn nach dem Sieg der Konterrevolution, der Installierung eines notorischen Kommunistenhassers an der Staatsspitze und der Überflutung unseres Landes mit ganzen Armeen von „Knabes“ eigentlich erwartet? Mich macht dieser Haß geschworener Reaktionäre eher stolz, zeigt er mir doch einerseits die Angst der Herrschenden vor allen, die sich mit den derzeitigen Zuständen nicht abfinden wollen, während er andererseits beweist, daß wir in der DDR – bescheiden ausgedrückt – nicht alles falsch gemacht haben dürften.

Der weltweite Kampf gegen das unmenschliche System des Kapitalismus wird nicht nur von dessen gesetzmäßigen Nachfolgern – der revolutionären Arbeiterbewegung – geführt, sondern findet auch auf unzähligen Nebenschauplätzen statt.

Bei aller notwendigen Nüchternheit sollten wir uns den historischen Optimismus keinesfalls nehmen lassen. Und vergessen sollten wir auch nie, daß manche Dinge anders erscheinen, interpretiert und wahrgenommen werden oder werden sollen, als sie tatsächlich sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich an eine von dem Schweriner Schaufenster-Zeitungsmacher Rainer Stankiewitz ausgelöste Diskussion erinnern. Der „Seelenstorm“-Herausgeber stellte die Frage, was eigentlich werden solle, wenn sich – biologisch bedingt – immer mehr Autoren und Leser des RF von uns verabschieden. Diese Frage steht natürlich weiter im Raum, denn oft erreichen wir Älteren heute nicht einmal unsere eigenen Kinder und Enkel, die ihr Dasein unter völlig anderen Bedingungen gestalten müssen. Sie spüren im täglichen Überlebenskampf, daß das herrschende System alles für sich vereinnahmt, bisweilen sogar den Protest. Und wir reden in „RotFuchs“-Veranstaltungen mit der größten Selbstverständlichkeit über allerlei Dinge, die sie gar nicht mehr kennen können, überdies auch noch zu einer Tageszeit, in der sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.

Die marxistischen Klassiker haben uns wissenschaftlich begründete Theorien hinterlassen, jedoch keine Dogmen und genügend Freiraum, diese glänzenden Konzepte angesichts der sich mit großer Dynamik vollziehenden Veränderungen weiterzuentwickeln. Dabei bedarf es nicht nur der Theoretiker, sondern auch der Praktiker und natürlich des Erfolgs. Nicht nur jene, welche in der Vergangenheit immer zur Stelle waren, werden auch heute noch gebraucht, sondern alle, die genügend Kraft und Wissen sowie die Überzeugung haben, daß es sich auch in Zeiten der Niederlage lohnt, sein Bestes zu geben: Junge wie Alte, Frauen und Männer – auf die richtige Mischung kommt es an. Auch Idealisten sind von Wert, die selbst vor dem scheinbar Unmöglichen nicht zurückschrecken.