RotFuchs 200 – September 2014

Politiker und Journalisten im Wahn ihrer Ideologie

Weckruf aus Göttingen

Dr. Wolfgang Bittner

Die US-Propaganda hat die deutschen Leitmedien fest im Griff. Woran das liegt, ist geklärt, nachdem aufgedeckt wurde, daß viele der leitenden Journalisten US-Thinktanks und CIA-gesteuerten Vereinigungen nahestehen oder sogar angehören. Das also ist unsere „vierte Gewalt“ im Staate, verdorben bis ins Mark. Und sie brüsten und spreizen sich immer noch, obwohl viele Menschen diese Schäbigkeit und Scheinheiligkeit inzwischen durchschaut haben. Die existentiellen Gefahren, die damit einhergehen, haben bisher nur wenige erkannt.

Staatstrauer in der Westukraine bei den prowestlichen Separatisten, nachdem in der Ostukraine ein Militärflugzeug mit 49 Soldaten abgeschossen wurde. „Weltweite Bestürzung“, heißt es, „die Ukraine trauert“, „Kiew kündigt Vergeltung an“. Der von einem Teil der Ukrainer gewählte neue Präsident Poroschenko schickt seit Wochen Armeeeinheiten, Panzer und Kampfjets in die Ostukraine. Er ließ das Rathaus von Lugansk bombardieren und brüstet sich mit dem „Heldenmut“ seiner Soldaten. Die Ukraine gehört zu Europa, aber in welchem Jahrhundert leben wir hier?

Jetzt nennt Poroschenko den Abschuß der Militärmaschine einen „zynischen terroristischen Akt, der unbedingt bestraft werden wird“, Außenminister Deschtschiza bezeichnet den russischen Präsidenten Putin bei gewalttätigen Demonstrationen vor der russischen Botschaft in Kiew öffentlich als „Scheißkerl“. Der deutsche Außenminister Steinmeier fordert, die Verantwortlichen müßten zur Rechenschaft gezogen werden, US-Außenminister Kerry „macht Druck“, Merkel telefoniert mit Putin.

Dagegen war es keines Protestes und nur vereinzelter Meldungen in den Medien wert, als am 2. Mai von westukrainischen Nationalisten in Odessa das Gewerkschaftshaus niedergebrannt und 48 Privatpersonen ermordet, weitere 214 verletzt wurden. Über den Bürgerkrieg in der Ostukraine ist hauptsächlich dann etwas zu erfahren, wenn es gegen die „prorussischen Separatisten“ geht, wobei in der ARD fast immer dieselbe, offensichtlich voreingenommene Fernsehkorrespondentin namens Golineh Atai berichtet, in den Tagesthemen dann der ehemalige Moskau-Korrespondent und gleichfalls suspekte Moderator Thomas Roth, der das Ganze noch mit dem Duktus eines Allwissenden versieht.

In der verluderten Tagesschau war Ende April auch zu erfahren, deutsche OSZE-Beobachter seien von den „prorussischen Separatisten“ als Geiseln genommen worden. Obwohl sehr bald bekannt war, daß es sich um von der Kiewer Putschregierung eingeladene deutsche Militärbeobachter ohne OSZE-Mandat handelte, die in der Ostukraine als Spione festgehalten wurden, fälschten die meisten Medien tagelang die Fakten. Die für den Einsatz verantwortliche Ministerin von der Leyen begrüßte die nach achttägiger Haft heimgekehrten Soldaten auf dem Berliner Flughafen Tegel und sagte: „Ich finde es wichtig, daß wir uns nicht einschüchtern lassen.“ Die westlichen Beobachter-Teams bestünden aus hochprofessionellen Experten, deren Ziel es sei, Genaueres über das militärische Potential vor Ort herauszufinden, war zu vernehmen. Der „Übergangspräsident“ und US-Günstling Arsenij Jazenjuk wirft Rußland vor, den Dritten Weltkrieg anzetteln zu wollen. Europa im 21. Jahrhundert!

Von den Kämpfen in dem von der NATO zusammengebombten Libyen hören und sehen wir gar nichts mehr, aus Afghanistan immer weniger, über den Irak erst wieder mehr, seit dort die Terrortruppe „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) auf dem Vormarsch ist und Blutbäder anrichtet. Statt dessen hören und lesen wir, daß die Präsidentschaftswahlen in Syrien am 3. Juni von „verschiedenen arabischen Staaten“, von der syrischen Opposition im Exil sowie westlichen Politikern und Medien als „Farce“ angesehen werden, weil nur ein Teil der Syrer hätten wählen können. Die US-Regierung bezeichnet die Wahlen als „Schande“. Da stutzt der politisch interessierte Bürger und erinnert sich, wie das kürzlich mit der Ukraine war, als die Wahl von Poroschenko, an der nur ein Teil der Ukrainer teilnahm, als Gewinn für die ukrainische Demokratie gefeiert wurde.

Was für Politiker und Journalisten sind das, die versuchen, die Menschen für dumm zu verkaufen und derart zu indoktrinieren? Was ist das für ein verlogenes, verkommenes Pack? Wollen sie Krieg und wissen sie nicht, was das bedeutet? Lapidar heißt es: „Die ukrainischen Sicherheitskräfte setzen ihre Offensive fort“, bei Luftangriffen seien mehr als 50 Separatisten getötet und etwa 150 verletzt worden. Dann wieder erfahren wir: „Die Ukraine trauert.“ Um wen? Um ihre Soldaten, die Krieg gegen ihre Landsleute führen. Die von den USA installierte und unterhaltene Mörderbande in Kiew schreckt vor nichts zurück, aber „unsere“ Medien verharmlosen, lügen und hetzen gegen Rußland. Im Hintergrund agiert die CIA, schickt Söldnertrupps, koordiniert die Propaganda.

Barack Obama, der einstige Hoffnungsträger, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Ausgeburt des Schreckens für die ganze Welt. Waren die Bush-Präsidenten schon furchtbar, scheint er sie inzwischen zu übertreffen. Er wird uns am 4. Juni vor einem amerikanischen Kampfjet auf polnischem Territorium präsentiert und warnt Rußland vor einer militärischen Intervention gegen westliche Staaten, für die es jedoch keinerlei Anzeichen gibt. Er verspricht eine Milliarde Dollar für die zusätzliche Stationierung von Truppen in osteuropäischen Ländern (in die Destabilisierung der Ukraine wurden bis Dezember 2013 bereits fünf Milliarden Dollar „investiert“), während die Verelendung im eigenen Land zunimmt und die Staatsverschuldung auf die unvorstellbare Summe von 17,8 Billionen US-Dollar angewachsen ist. Er schwadroniert von Freiheit als kostbarem Gut, verspricht Polen, Litauen und Rumänien, die USA als „stärkste Militärmacht der Welt“ und die NATO stünden an ihrer Seite. Wir dürfen uns fragen: Zu welchem Zweck? Und was haben Obama und seine Militärmacht in Polen, Litauen und Rumänien zu suchen?

Wer immer noch auf die Rechtschaffenheit der US-Regierung hofft, sollte das erschütternde Interview mit dem politisch unverdächtigen CDU-Politiker Willy Wimmer anhören. Er war mehr als drei Jahrzehnte Mitglied des Deutschen Bundestages, in den 80er und 90er Jahren verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Wimmer kritisiert scharf die aggressive Außenpolitik der US-Regierung, insbesondere deren Haltung gegenüber Rußland, und er befürchtet, die USA wollten Europa in einen Krieg hineinziehen. Die deutsche Regierung – so meint Wimmer – sollte sich nicht für die egoistischen imperialen Ziele der USA instrumentalisieren lassen, die ein stabiles, prosperierendes Europa als Konkurrenz nicht dulden wollen. Und er stellt fest, daß die westeuropäischen Leitmedien jegliche Unabhängigkeit in der Berichterstattung verloren haben. Er spricht erschreckenderweise von „Restbeständen der Demokratie“ und einer „Endspiel-Zeit“. Es ist zu befürchten, daß er recht hat. Die US-Regierung mit der Rüstungs- und Erdöl-Lobby im Rücken geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen.

In wessen Hände sind wir geraten?

Die NSA (National Security Agency), eine Verbrecherorganisation, die im Auftrag der kriminellen US-Regierung die ganze Welt ausspäht und überwacht, darf unbehelligt weitermachen wie bisher. Wimmer sagt: „Diese Form von schleichender Kontrolle zerstört unsere Gesellschaft.“ Anstatt sich um diese Ungeheuerlichkeit zu kümmern, fahren „unsere“ Politiker zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Brasilien. Das ist ihnen wichtiger, wobei das Land ebenso wie 2008 China und 2014 Rußland während der dortigen olympischen „Spiele“ madig gemacht wurde.

Auch die Untersuchungen zum NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), dem neun ausländische Mitbürger und eine Polizistin zum Opfer fielen, verlaufen im Sande; Beweise wurden vernichtet, die Haupttäter Mundlos und Böhnhardt sind unter seltsamsten Umständen ums Leben gekommen und samt Beweismaterial verbrannt, der unbequeme Vorsitzende des Untersuchungsausschusses und Geheimdienst-Kritiker Sebastian Edathy wurde „abgeschossen“. Es wird vertuscht, abgewiegelt, gelogen daß sich die Balken biegen, die Geheimdienste und der Verfassungsschutz werden nicht reduziert, sondern ausgebaut.

Es ist bekannt, daß die deutschen Dienste mit der NSA zusammenarbeiten, aber die Bundeskanzlerin laviert oder hüllt sich in Schweigen, der Innenminister spricht von Antiamerikanismus, dem es zu begegnen gilt, der Außenminister warnt Putin. „In wessen Hände sind wir da geraten?“, fragt der frühere Bundestagsabgeordnete Albrecht Müller, Herausgeber des Internet-Portals NachDenkSeiten. Und der ehemalige SPD-Politiker und Bundesminister für Forschung und Technologie Andreas von Bülow vertritt die Auffassung: „In den Industriestaaten, deren Bevölkerung die Komplexität der Lebensverhältnisse kaum noch durchschaut, lassen sich mit dem Instrumentarium der manipulierten Demokratie inzwischen Ergebnisse erreichen, die denen einer Diktatur in nichts nachstehen.“

Die Menschen werden überwacht und manipuliert, sie werden drangsaliert, abgezockt, in Kriege, Mord und Totschlag verwickelt, die Demokratie wird nach und nach abgeschafft. Aber das alles wird als Normalität vermittelt. Die Medien versagen, ein großer Teil der Bevölkerung verblödet oder zieht sich ins Private zurück. „Was kümmert‘s mich, solange es mir gutgeht“, ist zu hören. Oder: „Sie sind sowieso alle korrupt …“ Viereinhalb Millionen Hartz-IV-Empfänger, Kinderarmut, ein Viertel der deutschen Bevölkerung lebt unterhalb oder am Rande des Existenzminimums. Nachts im Fernsehen: Blut und Sperma, Dreck und Horror: in den Kinderzimmern – soweit vorhanden – Kitsch und Kram.

In den Mittelmeerstaaten sind mehr als fünfzig Prozent der jungen Menschen arbeitslos, ein Rettungspaket nach dem anderen wird verabschiedet: Geld für die Banken. Jetzt hat der NATO-Generalsekretär Rasmussen die Mitgliedstaaten der Militärallianz aufgefordert, angesichts einer „neuen Sicherheitslage in Europa“ ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. „Wir brauchen die richtigen Fähigkeiten, um eine glaubwürdige Verteidigung beibehalten zu können“, sagt er. Der unsägliche Bundespräsident Gauck verlangt „ein Ja zu einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen im größeren Rahmen“, auch mit militärischen Mitteln. Die Bevölkerung wird zur Kasse gebeten, in den Städten und Gemeinden werden viele der sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte abgebaut.

Und die Medien sind bei der Fußballweltmeisterschaft dabei, Frau Merkel jubelt in Brasilien: Brot und Spiele, wie gehabt. Auch der Adel und die Monarchien sind wieder en vogue. Ständig werden wir über die Majestäten und ihre untauglichen Abkömmlinge auf dem laufenden gehalten. Die Proteste Zehntausender Anti-Royalisten, zum Beispiel kürzlich gegen die Inthronisation des spanischen Infanten Felipe, werden beiläufig erwähnt. Aufstände in Bahrain oder in der Türkei sind kaum der Rede wert, Obama grinst in die Kamera. Daß viele Hoffnungen durch Morde an Politikern wie Patrice Lumumba, Salvador Allende oder Olof Palme zunichte gemacht wurden, ist lange vergessen.

Hofberichterstattung ist angesagt, auf allen Gebieten, die Bevölkerung wird abgelenkt, mit Halbwahrheit, Lügen und Hetze bombardiert. Wer nicht mitmacht, wer sich querstellt, wird fertiggemacht. Die Restauration marschiert, und wir gucken erschüttert und von Tag zu Tag wütender zu. Was sollen wir tun? Was können wir? Ändert sich etwas, wenn wir protestieren?

Wir können nicht anders, wir müssen protestieren, um nicht schuldig zu werden. Obwohl wenig Hoffnung besteht, daß sich in absehbarer Zeit etwas zum Positiven ändert.

Der Autor, der diesen Beitrag am 16. Juni öffentlich machte, ist Jurist und Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Roman „Hellers allmähliche Heimkehr“. Die Überschriften sind vom RF.