RotFuchs 209 – Juni 2015

Auf Frankreichs Schlappe in Diên Biên Phu
folgte das USA-Debakel in Saigon

Wie David über Goliath triumphierte

RotFuchs-Redaktion

Am 30. April 1975 – vor vierzig Jahren – errangen nordvietnamesische Kämpfer gemeinsam mit ihren Waffengefährten aus der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams einen welthistorischen Sieg: An jenem Tag fiel die letzte US-Bastion – die südliche Hauptstadt Saigon.

Die Bilder von der überstürzten Hubschrauberflucht des Botschaftspersonals und einiger Kollaborateure der Aggressoren vom Dach der diplomatischen Vertretung der Vereinigten Staaten gingen um die Welt.

An der Spitze des heroischen Kampfes der Vietnamesen für nationale und soziale Befreiung stand ein außergewöhnlicher Mann – eine Persönlichkeit von Format, wie es sie nur selten gibt und die nicht an allen geschichtlichen Wendepunkten, ob Vormarsch oder Rückzug, verfügbar sind: Hô Chi Minh. Der 1890 Geborene schuf mit Gleichgesinnten wie seinem militärischen rechten Arm General Giáp – dem späteren Oberbefehlshaber der Volksstreitkräfte – schon 1944 die Linksfront für die Befreiung Vietnams – Vietminh. Sie sagte zuerst den japanischen Okkupanten und dann den französischen Kolonialherren den Kampf an. Doch anfangs fehlte es an Waffen und Massenunterstützung. Als einige Vietminh-Führer das subjektive Anheizen der Revolution propagierten, zog Hô Chi Minh die Bremse und warnte vor übereilten Entschlüssen. In den Jahrzehnten des Befreiungskampfes, die folgten, bestand er stets auf der Schaffung einer entscheidenden Voraussetzung: „Wir müssen zuerst das Volk überzeugen und es hinter gerechten und legitimen Forderungen versammeln.“ Das gehe militärischen Lösungen voraus.

Während des Zweiten Weltkrieges war ganz Indochina von den Japanern besetzt. Frankreich konnte sich nicht um seine Kolonien Vietnam, Laos und Kambodscha kümmern. Nach der Niederlage der Achsenmächte Deutschland-Italien-Japan suchte Paris aufs neue die Völker dieser Region zu unterdrücken und auszuplündern. Das löste 1945 die bewaffnete Erhebung gegen die Kolonialtruppen der Grande Nation aus. Sie begann in Nordvietnam, wo eine Provinz nach der anderen erobert wurde. Im August 1945 rief Hô zum landesweiten Widerstand auf. Nur 14 Tage später war ganz Vietnam befreit: Am 2. September proklamierte er die Demokratische Republik Vietnam.

Mit massiver Unterstützung der USA und Großbritanniens eroberten die französischen Kolonialtruppen den Landessüden zurück. Am 18. Dezember 1946 nahmen sie auch die nördliche Hauptstadt Hanoi. Zugleich forderte die Kolonialmacht von den vietnamesischen Kämpfern deren totale Selbstentwaffnung.

Doch Hô kapitulierte nicht: Erneut rief er zur allgemeinen Volkserhebung in ganz Vietnam auf. Die Kämpfer der Vietminh blieben Paris nichts schuldig, so daß sich Frankreich gezwungen sah, zusätzlich 20 000 Angehörige seiner Elitetruppen, darunter auch Fremdenlegionäre, nach Vietnam zu werfen. Davon versprach sich sein Generalstab einen schnellen Sieg. Er unterschätzte indes die taktische Klugheit seiner Gegner. Bei eigenen Verlusten von 8000 Mann befreiten ihre Kämpfer 13 Bezirkshauptstädte.

1953 entschied Frankreichs Regierung, alles auf eine Karte zu setzen. In der Basis Diên Biên Phu an der Grenze zu Laos wurden Tausende Fallschirmjäger konzentriert. Doch die Vietminh-Führer ließen sich dadurch nicht in Panik versetzen: Gegen Jahresende leitete General Giáp schrittweise die Einkesselung der von Frankreich für uneinnehmbar gehaltenen Festung ein.

Am 7. Mai stürmten sie seine Kämpfer und nahmen 16 000 französische Soldaten gefangen. Nach seiner größten Niederlage im Kolonialkrieg wurde Paris an den Verhandlungstisch gezwungen und mußte in Genf der Unabhängigkeit von Vietnam, Laos und Kambodscha zustimmen. Vietnam wurde zunächst zweigeteilt. Demokratische Wahlen sollten über das weitere Schicksal des Landes entscheiden. Die USA suchten diese um jeden Preis zu verhindern und installierten im Süden ein prowestliches Satellitenregime mit Ngô Dinh Diêm an der Spitze.

Hô und seine Genossen konzentrierten sich fortan auf die politische und ökonomische Stärkung des Nordens. 1959 ging Hanoi davon aus, daß günstige Bedingungen für den Guerillakampf zur Rückeroberung des Südens bestünden. Inzwischen hatte Washington für die Formierung einer Söldnerarmee des Diem-Regimes gesorgt, während das Pentagon immer mehr eigene Kontingente nach Südvietnam verlegte. Mehr als die Hälfte der US-Streitkräfte wurde mobilisiert, darunter etliche Spezialeinheiten und Bomberverbände sowie ein Drittel der Kriegsflotte mit ihren Flugzeugträgern. 1969, auf dem Höhepunkt der Aggression, befanden sich 550 000 GIs im Kampfgebiet, die von 70 000 südvietnamesischen Söldnern unterstützt wurden.

1964 begann der Luftkrieg gegen die DRV. Die U.S. Air Force warf in einem einzigen Monat mehr Bomben über Nordvietnam ab, als ihre Maschinen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges über Deutschland ausgeklinkt hatten. Doch sie brachen weder den Widerstand im Süden noch die politisch-militärische Stabilität des Nordens. Trotz des Luftterrors gelang es den Aggressoren nicht, die Nachschublinien der Befreiungskräfte im Süden zu zerschlagen. Über den in die Geschichte eingegangenen Hô-Chi-Minh-Pfad, den Laos und Kambodscha mit absicherten, wofür auch sie sich massiven Bombardements ausgesetzt sahen, wurden die Kämpfer mit allem Notwendigen versorgt. Nun griff die U.S. Air Force zu der berüchtigten „Entlaubungs-Chemikalie“ Agent Orange, die nicht nur die Ernten im Süden vernichtete, sondern auch unzählige Kinder nachfolgender Generationen als Krüppel zur Welt kommen ließ.

Doch die Kampfmoral der Truppen General Giáps und des Vietcong blieb ungebrochen. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1968 begann die Têt-Offensive – eine militärische Glanzleistung ohnegleichen: An Fronten von insgesamt 1200 Kilometern Breite griffen 200 000 Mann der Volksbefreiungskräfte schlagartig den Gegner in mehr als 100 größeren und zahlreichen kleineren Städten des Südens an. Die meisten US-Generalsquartiere sowie die Saigoner US-Botschaft wurden attackiert, 36 Landebahnen zeitweilig in Besitz genommen sowie 1500 Flugzeuge und Hubschrauber vernichtet.

Als „Vergeltung“ für diese enorme militärisch-moralische Niederlage unternahm die U.S. Air Force eine letzte Serie schwerer Bombardements gegen Objekte in Nordvietnam. Die Terrorangriffe wurden weltweit verurteilt. In den Vereinigten Staaten selbst schwoll der Sturm des Protests zum Orkan an.

Die Bilanz des Krieges war entsetzlich. In Nord- und Südvietnam forderte die US-Aggression mehr als zwei Millionen, in Kambodscha 300 000 und in Laos 200 000 Opfer. Auch auf seiten der USA registrierte man schwere Verluste: Über 60 000 der mehr als 1 Million Zwangsrekrutierten fielen, 300 000 wurden verwundet. Die U.S. Army geriet durch Untaten wie die Ausrottung der 450 Einwohner des Dorfes My Lai – eines vietnamesischen Lidice – an den Pranger der Welt. Zur Ehre der US-Bürger ist zu bemerken, daß etwa 40 000 Wehrpflichtige den „Dienst“ in Vietnam aus Gewissensgründen verweigerten.

Im April 1975 eröffnete General Giáp die Schlußoffensive. Nach der Einnahme Saigons vereinigten sich der Norden und der Süden zur Sozialistischen Republik Vietnam.

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel