RotFuchs 227 – Dezember 2016

Erinnerung an den Filmregisseur Rolf Losansky (1931–2016)

Wunderalter sind mir die liebsten …

Ingeborg Zimmerling

Wir trafen uns sozusagen an historischer Stätte. Im Berliner Pionierpark in der Wuhlheide. Historisch für Rolf Losansky insofern, da er dort Mitte der 50er Jahre als Regisseur von Großveranstaltungen – verantwortlich auch für Neptunfeste und Rollerrennen und alles, was Spaß macht. Im Pionierpark fand auch seine erste Begegnung mit dem Film statt. Konkret in Gestalt der Autoren Wera und Claus Küchenmeister, für deren Dokumentarfilm „Träumt für morgen“ er Kinder mit aussuchte, quasi Zuarbeit leistete. Wenig später ging er an die Filmhochschule, studierte Regie. Inzwischen sind 32 Jahre ins Land gegangen und Rolf Losanskys fünfzehnter Film „Das Schulgespenst“ steht kurz vor der Premiere. So richtig ist er den Kindern nie untreu geworden und wird es wohl auch nie können. Zuviel Begeisterung und Wärme klingt bei alledem mit, wenn er von Kindern und der Arbeit mit ihnen geradezu schwärmt, von seinen zahlreichen Begegnungen und Gesprächen mit ihnen spricht. „Kinder – die sind wie Frühling und Sonne und Blumen und Leben überhaupt, man muß auf sie aufpassen“, sagt er. Auch an dem Tag unserer Verabredung steht wieder ein Gespräch ins Haus, diesmal mit dem Filmklub des Pionierpalastes. Erneute Gelegenheit, mich persönlich davon zu überzeugen, mit welcher Ernsthaftigkeit, welcher Selbstverständlichkeit, aber auch mit wieviel Humor er auf Fragen der Kinder eingeht.

Von manchen Dingen spricht Losansky, als ob’s gestern gewesen wäre. So z. B. von den Dreharbeiten zu „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ (1964) und seiner ersten Begegnung mit dem Schriftsteller Franz Fühmann. Eine Zeichnung wird ihm von Klubmitgliedern zu diesem Film überreicht, und Freude spiegelt sich in seinem Gesicht.

Bei all den Gesprächen mit Rolf Losansky fällt auf, wie oft er – wenn von seinen Filmen die Rede ist – auf die anderen verweist, erinnert, wie wichtig jeder einzelne Mitarbeiter am Gelingen des Filmes sei. Oft sind solche erzählten Erinnerungen mit einer Anekdote gespickt, die er mit urwüchsigem Humor zu erzählen weiß. Überhaupt kann man sich einen humorlosen Rolf Losansky kaum vorstellen. Selbst in Zeiten höchster Anspannung, bei Dreharbeiten, sorgt er mit seinem trockenen Humor für Entspannung. Und ich erlebte bei ganz verschiedenen Filmen von ihm am Drehort so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft. Zehn Filme hat er bisher für Kinder verschiedener Altersstufen gedreht. „Das Geheimnis der 17“ (1963) zeigt die Beziehung Elfjähriger zu Erwachsenen, aber auch zu ihrer Umwelt. Der 1986 fertiggestellte Film „Weiße Wolke Carolin“ (Buch: Klaus Meyer) handelt von der aufkeimenden Liebe Zwölfjähriger, in „Euch werd ich’s zeigen“ (1972) werden die Konflikte eines Dreizehnjährigen dargestellt, „… verdammt, ich bin erwachsen“ (1974) greift Probleme eines Fünfzehnjährigen auf, der sich anschickt, erste Schritte in die Welt der Erwachsenen zu tun. Von einer siebzehnjährigen Leistungssportlerin erzählt „Achillesferse“ (1978). Hoch in der Gunst des Kinderpublikums stehen auch seine phantastisch-realistischen Filmgeschichten. Diese ihm inzwischen sehr eigene Filmstrecke hatte er schon 1964 mit „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ begonnen, 1975 fortgesetzt mit „Blumen für den Mann im Mond“, 1977 mit „Ein Schneemann für Afrika“, 1982 war’s „Der lange Ritt zur Schule“, 1983 folgte „Moritz in der Litfaßsäule“ (Buch: Christa Kożik) und schließlich „Das Schulgespenst“ (Buch: Peter Abraham; Zeichnungen: Gertrud Zucker). All diese Filme sind ein Plädoyer für die Phantasie. Warum diese Beharrlichkeit in puncto Phantasie?

„Ich möchte zu denen gehören, die besonders aufpassen, daß bei Kindern die Phantasie nicht verschüttet wird. Phantasie versetzt zwar keine Berge, aber legt Hand an den Berg. Phantasie sowie das Träumen und Spinnen spielen eine große Rolle im Zusammenleben der Menschen. Dabei sehe ich Träumen nie als Ersatz für etwas, was nicht geht, aber für etwas, wo man Realität ein Stück da hinbringen kann, wohin man sie bringen möchte bzw. wohin sie gehört. Träume haben für mich etwas damit zu tun: So will ich’s! So wollen wir’s! Verdammt, so müßte es möglich sein!“

Damit ist ein Stichwort gefallen für eine weitere Eigenart der Filme dieses Regisseurs – das Programmatische seiner meisten Filmtitel.

„Wir haben ,… verdammt, ich bin erwachsen‘ nicht schlechthin als Titel gesehen, sondern auch in dem Sinne: Verdammt, es kommt ganz schön etwas auf mich zu, aber ich muß, ich will es schaffen. Oder: ,Blumen für den Mann im Mond‘. Als ich Kind war, dachte noch niemand daran, daß dort oben mal ein Auto rumkurvt, und bestimmt wird es eines Tages dort auch Blumen geben. Ich bin fest überzeugt davon. ,Ein Schneemann für Afrika‘ heißt, in diesen dunklen Kontinent alles Gute dieser Welt zu bringen. Natürlich gibt es kein ,Scbulgespenst‘. Oder? Ich hoffe, es gibt eins! So ein gutes, wie wir es geschildert haben. Für die Kinder und die Lehrer.“

Eigentlich wollte Rolf Losansky Kinder- und Jugendfilme im Wechsel machen. Die Priorität Kinderfilm bedauert er nicht etwa, aber sie ist mangels geeigneter Stoffe für Jugendliche entstanden. Er hofft, daß sein nächster Film einer für Jugendliche wird. Sein Wunsch sei es, so sagt er, sich mit kritischen Themen, z. B. Fragen der Ehrlichkeit, auseinanderzusetzen. Diese Problematik beschäftigt ihn sehr. Warum nun dieser angestrebte Wechsel zwischen Kinder- und Jugendfilm?

„Es gibt für mich zwei Altersstufen, die mich reizen, über sie Filme zu machen. Da ist die des Kindes, das anfängt, seine Umwelt zu erkennen und zu begreifen. Das ist die Zeit, wo Kinder Giganten im Begreifen und Auffassen sind, wo sie lernen, weit über ihre Straße hinauszublicken. Sie sind ungeheuer neugierig auf Leben und freuen sich auf die Welt. Das andere Wunderalter ist das der Jugendlichen, wenn sie noch eckig und kantig sind und alles ganz anders machen wollen, mindestens viel besser als die Alten, wir Eltern. Und ich finde es richtig, daß sie so denken. Es ist höchst interessant, mit ihnen und über sie Filme zu machen, sie in ihren Gedanken zu bestärken. Ich möchte meinen Zuschauern Kraft und Freude geben, aber auch den Erwachsenen sagen: Paßt auf! Meine Filme sind gleichermaßen für Vater und Lehrerin, für Leute in der Straße.“

In Mode war es eine Zeit, Kinderfilmer als Jungfilmer zu bezeichnen. Mit nunmehr 56 Jahren und nach fünfzehn Filmen noch legitim als Bezeichnung für einen Regisseur?

„Ich fühle mich als Jungfilmer. Jeder Film ist für mich wie ein erster Schritt. Für die, mit denen ich arbeite, muß ich Jungfilmer sein. Wenn ich von einem seriösen Aussichtsturm aus ihre Welt beurteile und darstelle, hören Kinder nicht mehr hin, und Jugendliche trachten danach, diesen Aussichtsturm zu sprengen. Beide haben recht. Wenn man mit jungen Menschen zu tun hat, muß man sich bemühen, vorher ein Stück seiner eigenen Kindheit in die Tasche zu stecken und sie mindestens zum Vergleich herauszuholen. Zwischen den Jugendlichen und uns ist kein Graben, es ist nichts so ganz Neues, was da plötzlich anfängt, alles geht fließend ineinander über. Sie lernen von uns, aber begreifen uns an einigen Stellen überhaupt nicht. Und wir entdecken Dinge bei ihnen, wie wir auch waren, und begreifen sie andererseits manchmal überhaupt nicht. Damit versuche ich mich in meinen Filmen auseinanderzusetzen. Aber ohne Zeigefinger, den mag ich gar nicht.“

Rolf Losansky stellt in Gesprächen über seine Filme sehr häufig den Spaß heraus. Sein jüngster Film, „Das Schulgespenst“, also nur ein Spaß, eine Filmheldin ohne Entwicklung?

„Ich finde, daß das Mädchen Carola Huflattich eine große Entwicklung durchmacht. Sie erkennt, daß man Schwierigkeiten nicht ausweichen kann, sich nichts herbeiträumen oder -wünschen kann, daß man Kompliziertes meistern lernen muß. Das begreift Carola. Sie macht zwar saure Miene dazu, aber sie steht für sich selbst ein.“ Nach unmittelbar anstehenden Arbeiten befragt, antwortet der gelernte Buchdrucker: „Mein Meister sagte immer: ,Druckt erst mal die Zeitung, reden könnt ihr hinterher drüber!‘ Filme machen ist nicht Worte machen. Ich rede ungern über das, was ich machen werde, lieber über das, was ich will. Ich will mal einen richtigen Märchenfilm machen, so wie ihn die Oma ihrem Enkelkind noch erzählt.“ Nach Auszeichnungen und Preisen befragt, winkt er ab. Sagt dann, daß ihm die zweimalige „Goldene Flimmerkiste“ und das jüngst verliehene „Bienchen“ der Fernsehzuschauer sehr lieb seien, ebenso wie der Preis des jugendlichen Publikums zuletzt im Februar dieses Jahres in Gera für „Das Schulgespenst“. Rolf Losanskys Erfolgsfilm wollte ein Zwölfjähriger des Filmklubs benannt wissen. Der Regisseur: „Der kommt noch! Ich will jedesmal das Beste machen. Genauso wie ihr auch. Bestimmt kommt er noch!“

Aus „Filmspiegel“, 13/1987