Ware und Geld

4.2.1
Das Geld als Maß der Werte und Maßstab der Preise

Das Geld als Wertmaß, so schreibt Marx, setzt die Waren als Werte voraus. „Das Wertmaß der Waren bezieht sich immer auf die Verwandlung der Werte im Preise, unterstellt schon den Wert.“91 Bei dem Maß der Werte handelt es sich um eine Ware, in der alle anderen Waren ihren Wert darstellen.92

Maß der Werte zu sein, ist deshalb die Grundfunktion des Geldes. Indem das Geld den Wert qualitativ ausdrückt, das heißt erkennen läßt, daß die Privat-arbeit als gesellschaftliche Arbeit geleistet wurde, stellt es ihn gleichzeitig auch quantitativ dar. Verbunden mit dem Wertausdruck, erfolgt so zugleich auch die Messung des Wertes. Diese Funktion macht das Wesen des Geldes selbst aus. Alle anderen Funktionen können erst auftreten, nachdem das Geld bereits als Wertausdruck und Wertmaß fungierte.

Ehe sich die Waren miteinander austauschen, müssen sie als Werte unter-einander gleichgesetzt und als Wertgrößen gemessen sein. Das Geld fungiert als Tauschmittel erst, nachdem es tatsächlich als Maß der Werte fungiert hat. Zuerst muß sich der Wert der Waren als Geld dargestellt haben. Jede Ware muß erst einen Preis haben, ehe sie gegen Geld ausgetauscht werden kann.

Ist Geld Wertmaß, dann ist es nötig, dafür einen Maßstab zu haben. Die Menge des Geldmaterials, in der sich der Wert einer Ware ausdrückt, muß gemessen werden können. Das natürliche Maß der Geldware, wenn sie ein Metall darstellt (Gold, Silber oder Kupfer) ist ihr Gewicht. Eine Gewichtseinheit der Geldware, zum Beispiel das Pfund, wird ursprünglich als Maßeinheit für die Preisbildung festgelegt. Aus der Unterteilung in gleiche Gewichtsteile ergibt sich der Maßstab für die Preisbildung. So dient das Geld als Maßstab der Preise.

Maßeinheit, Metallgewicht und Maßstab wurden und werden in den verschiedenen Ländern staatlich festgelegt und reguliert. Die Geldeinheit erhält einen besonderen Namen (Dollar, Pfund Sterling, Mark, Rubel usw.). Das Geld bekommt als Münze eine besondere Prägung. Gleichzeitig erhält diese aus Gründen der Zweckmäßgkeit eine bestimmte Unterteilung: 1 Dollar = 100 Cents, 1 Mark = 100 Pfennige usw.

So entsteht das Münzsystem eines bestimmten Landes, das nur hier unmittelbar Gültigkeit hat. Die staatliche Festlegung schafft jedoch, wie gesagt, nicht das Geld. Sie baut auf seiner Existenz auf und knüpft an die historische Überlieferung an, gegebenenfalls unter Anpassung an die Bedürfnisse der Praxis, zum Beispiel beim Übergang vom 3er- und 12er-System (Taler, Sechser) auf das 10er-System in Deutschland sowie beim Übergang zum Dezimalsystem in Großbritannien.

Man muß also zwischen dem Geld selbst, seinem ökonomischen Wesen, und einem ganz bestimmten staatlich fixierten Münzsystem unterscheiden. Man muß also unterscheiden zwischen dem Maß der Werte und dem Maßstab der Preise. „Als Maß der Werte und als Maßstab der Preise verrichtet das Geld zwei ganz verschiedne Funktionen. Maß der Werte ist es als die gesellschaftliche Inkarnation der menschlichen Arbeit, Maßstab der Preise als ein festgesetztes Metallgewicht. Als Wertmaß dient es dazu, die Werte der bunt verschiednen Waren in Preise zu verwandeln, in vorgestellte Goldquanta; als Maßstab der Preise mißt es diese Goldquanta.“93

Das Geld als Maß der Werte ergibt sich aus den objektiven Prozessen der Warenproduktion und kann nicht willkürlich festgelegt werden. Es kann sich verändern in dem Maße, wie sich die für die Gewinnung der Geldware gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verändert.

Das Geld als Maßstab der Preise dagegen wird von Staats wegen festgelegt, denn es handelt sich um eine Verbindlichkeitserklärung, daß zum Beispiel
1 Kilogramm 1000 Gramm hat und daß 1 Gramm das Tausendstel, 5 Gramm fünf Tausendstel Kilogramm und nicht mehr oder weniger sind.

Das Geld als Maß der Werte fungiert nicht als reelles Geld, sondern als nur vorgestelltes oder ideelles Geld. Nur im Denken, nur im Rechnen ist das Geld vorhanden. Es fungiert als ideelles Maß der Werte und als Rechengeld. Mit Hilfe des ideellen Geldes als Maß der Werte kann der Wert der Ware in den Preis verwandelt, mit Hilfe des ideellen Geldes als Rechengeld gerechnet und damit die Voraussetzung für den Austausch durch Kauf und Verkauf geschaffen werden.

Die Verwandlung des Wertes der Ware in ihren Preis mit Hilfe des Geldes als Maß der Werte ist durchaus nicht nur eine ideelle und überhaupt keine individuelle Angelegenheit, sondern ein höchst realer gesellschaftlicher Vorgang. Ideell ist das Geld nur in dem Sinn, daß es nicht als reelles, sondern nur als vorgestelltes Geld zu fungieren braucht.

Das Geld als Maß der Werte ist auch alles andere als nur eine nominelle Angelegenheit. Die Funktion des Geldes als Maß der Werte ist eine objektive, sich notwendig aus dem Prozeß der Warenproduktion und des Austausches ergebende Funktion, die darauf beruht, daß das Geld selbst eine Realität ist, nämlich eine Ware, die in sich von der Gesellschaft unmittelbar anerkannte Arbeit verkörpert.

Die Tatsache, daß das Geld als Maß der Werte nur in ideeller Form fungiert und daß das Geld als Maßstab der Preise von Staats wegen festgelegt wird, hat, wie Karl Marx schrieb, „die tollsten Theorien veranlaßt“.94

Bürgerliche Ökonomen schlossen daraus, daß das Geld durch ein Übereinkommen zwischen den Warenproduzenten zustande kam, um den Austausch zu erleichtern, und daß der Wert des Geldes willkürlich festgelegt werden könne und keine objektive Grundlage habe. Aber: „Obgleich nur vorgestelltes Geld zur Funktion des Wertmaßes dient, hängt der Preis ganz vom reellen Geldmaterial ab.“95

Das Geldmaterial Gold wurde ursprünglich als Ware produziert und erhielt seinen Wert, wie jede andere Ware, durch die für seine Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Es kam aus der Produktion in den Austausch und wurde gegen andere Waren ausgetauscht. Da aber die für die Geldproduktion aufgewandte Privatarbeit, dadurch daß das Gold als Geldware fungiert, unmittelbar als gesellschaftliche Arbeit anerkannt wurde, konnte es mit seinem Eintritt in den Austausch unmittelbar als Geld fungieren. „Um als Geld zu funktionieren, muß das Geld natürlich an irgendeinem Punkt in den Warenmarkt eintreten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo es sich als unmittelbares Arbeitsprodukt mit andrem Arbeitsprodukt von demselben Wert austauscht. Aber von diesem Augenblick stellt es beständig realisierte Warenpreise vor.“96

Die Warenpreise bleiben nicht gleich, sondern sie verändern sich. Das wird durch verschiedene Vorgänge verursacht. Preisveränderungen können einmal mit Wertveränderungen des Goldes oder aller anderen Waren verbunden sein. Als Arbeitsprodukte unterliegen die Wertgröße des Goldes und die der anderen Waren der Entwicklung der Arbeitsproduktivität.97

Steigt beispielsweise die Produktivität in den Goldminen um das Doppelte (bei gleichbleibender Arbeitsproduktivität bei der Produktion der Waren), so repräsentiert eine angenommene Goldmenge nur die Hälfte des Wertes der zu tauschenden Waren oder die gleiche Warenmenge ein doppeltes Quantum des Goldes. Wie sich die durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität bedingte Wertveränderung des Goldes auswirkte, zeigen die großen Preissteigerungen in Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die Entdeckungen der reichen Goldfelder Amerikas, die den Abbau mit geringerem Arbeitsaufwand ermöglichten, waren die Ursachen für den Zustrom billigeren Goldes und somit der Preissteigerungen der Waren. Die Preise der Waren verändern sich allgemein direkt proportional zum Wert der Waren, aber umgekehrt proportional zum Wert des Goldes.

Die Wertveränderungen des Goldes wirken sich nicht auf die Funktion des Geldes als Maßstab des Preises aus. Unabhängig davon, wie sich der Wert des Goldes ändert, bleibt der Preismaßstab (zum Beispiel 1 Dollar = 100 Cents) gleich. Es findet jedoch eine Veränderung im Repräsentationsverhältnis einer nationalen Geldeinheit (beispielsweise des Dollar) zum Gold statt. Sie hindert auch nicht die Funktion des Geldes als Maß der Werte, da sie alle Waren gleichzeitig trifft.

Preisveränderungen können andererseits Abweichungen der Preise vom Wert der Waren darstellen. Aus der Preisform ergibt sich die Möglichkeit und die Notwendigkeit der quantitativen Nichtübereinstimmung (Inkongruenz) von Preis und Wertgröße. Das Abweichen der Preise vom Wert der Waren ist überhaupt die Bedingung dafür, daß der Wert als gesellschaftlich bestimmte Größe fungieren kann. In den Schwankungen der Preise um den Wert setzt sich der Wert als gesellschaftliche Größe durch. Durch sie wird sichtbar, ob für eine bestimmte Warenart zuviel oder zuwenig individuelle Arbeit aufgewendet wurde.

Da das nicht auf dem Wege der Planung geschehen kann, wird es „hinter dem Rücken der Warenproduzenten“, das heißt ohne daß sie es wissen oder wollen, durch das Schwanken der Preise um den Wert der Waren bewirkt. „Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße, oder der Abweichung des Preises von der Wertgröße, liegt also in der Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann.“98

Karl Marx weist darauf hin, daß es in der entwickelten Warenproduktion auch eine qualitative Inkongruenz von Preis und Wert gibt, nämlich dann, wenn Dinge als Waren fungieren, die nicht Produkte der Arbeit sind, daher keinen Wert, aber einen Preis haben, zum Beispiel unkultivierter Boden.

Die Funktion des Geldes als Maß der Werte ist nie Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: Die Waren sollen verkauft werden. Darum lauert hinter dem ideellen Maß der Werte das reelle Geld. Nur in der Einheit der Funktion des Geldes als Maß der Werte und als Kaufmittel ist das Geld wirkliches Geld.

Die Funktion des Geldes als Maß der Werte und Maßstab der Preise ist, wie schon gesagt, Ausdruck entwickelter Warenproduktion. Das bedeutet, daß der Warenaustausch nicht mehr unmittelbar, sondern nur mit Hilfe des Geldes verwirklicht werden kann. Die Rolle als Mittler der Zirkulation spielt das Geld in seiner Funktion als Zirkulationsmittel.